Regimefamilie unterdrückt Opposition
Baku: Der Songcontest und die Realität
Aserbaidschan will sich mit dem Songcontest international als europäisches offenes Land profilieren. Aber Aserbaidschan wird autoritär regiert, die politische Opposition unterdrückt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 23.5.2012
Aus Baku berichtet Carola Schneider.
Kritiker im Gefängnis
Echte Oppositionsparteien gibt es nicht in Aserbaidschan. Demonstrationen von Regimekritikern werden regelmäßig gewaltsam aufgelöst. 80 politische Gefangene gebe es derzeit in Aserbaidschan, sagt Yasul Rafarow von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Club. 17 von ihnen seien Gewissengefangene - Menschen, die allein wegen ihrer kritischen Meinung inhaftiert sind. So werden Teilnehmer an Demonstrationen oft wegen Störung der öffentlichen Ordnung zu Gefängnisstrafen von einem halben Jahr bis zu drei Jahren verurteilt.
Erpresservideos gegen Journalisten
Besonders unter Druck stehen kritische Journalisten. Eine von ihnen ist Kalida Ismailova, eine der bekanntesten unabhängigen Journalistinnen in Aserbaidschan. Vor zwei Monaten erhielt sie per Post ein Kuvert mit intimen Fotos aus ihrem Schlafzimmer, offenbar Ausschnitte aus einem Video. Ein Erpresserbrief forderte sie auf, "sich zu benehmen". Kurz darauf wurde das dazugehörige Video, das sie beim Sex in ihrer Wohnung zeigt, im Internet veröffentlicht. Ismailova recherchierte zu dieser Zeit wie so oft über die Beteiligung der Präsidentenfamilie an Staatsunternehmen. Sie verfolge die Präsidentenfamilie nicht, "aber wo immer du gräbst, springen sie raus."
Präsidentenfamilie kassiert mit
Recherchiert man über Geschäfte in Aserbaidschan, stellt sich heraus, dass sie dahinterstehen. Ismailova vermutet, dass die Schmuddelkampagne gegen sie vom Regime inszeniert wurde. Mit ähnlichen Videos wurden in der Vergangenheit schon einige Journalisten zum Schweigen gebracht. Aber Ismailova macht weiter: Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte sie Recherchen, wonach beim Bau der Konzerthalle für den Songcontest auch die Präsidentenfamilie kräftig mitverdiente.
Teuerster Songcontest aller Zeiten?
Experten geben die Gesamtkosten für den European Songcontest (ESC) mit 629,8 Millionen Euro an, davon etwa ein Drittel allein für die von Deutschen gebaute Crystal Hall an der Küste des Kaspischen Meeres. Das sei der höchste Betrag, der je für einen Grand Prix ausgegeben wurde, teilte die Vereinigung für die Unterstützung einer freien Wirtschaft (PAAFE) in Baku mit. Der Chefideologe der Präsidialverwaltung, Ali Gassanow, wies diese Angaben entschieden zurück. Gassanow nannte ESC-Kosten von rund 50 Millionen Euro. Die Arena und andere Infrastrukturprojekte dürften nicht mitgerechnet werden, da sie über den ESC hinaus genutzt würden. Gassanow warf westlichen Medien, darunter vor allem deutschen, erneut eine Schmutzkampagne gegen Aserbaidschan vor. Offizielle Angaben zu den Kosten etwa der Halle gibt es aber nicht.