Aktivismus als Kunst

Kunst als Aktivismus

Eine junge Generation von Künstlerinnen, Kuratoren und Kritikerinnen setzt sich für gesellschaftspolitische Anliegen ein und hat dabei mit unangenehmen Konsequenzen zu rechnen: Zensur, Gerichtsverfahren und selbst tätliche Angriffe.

Kulturjournal, 25.05.2012

Politischer Aktivismus und bildende Kunst, Demonstration und Performances, Ausstellungen und Arbeit an der Gesellschaft - all das sind für junge Kulturschaffende Aspekte einer Handlungspraxis. Die Kuratorin und Kritikerin Natalya Tchermalykh etwa engagiert sich für die Rechte von Arbeiterinnen und die Gleichstellung der Frauen. Feminismus ist Teil ihrer Lebenseinstellung sagt sie, ob sie nun einen Artikel schreibt oder eine Ausstellung organisiert.

Über die Wirkungskraft ihres Engagements macht sie sich keine Illusionen: "Von unseren Aktivitäten erwarten wir keinerlei politische Konsequenzen. Es geht auch nicht darum, konkrete Forderungen durchzusetzen, sondern einfach die Gesellschaft zu sensibilisieren. Dass sich das in der Gesetzgebung manifestiert, davon sind wir weit entfernt."

Gute Absicht, schlechter Ruf

Die Kulturtheoretikerin Anna Khvyl ist ebenfalls in der Gruppe "Feministische Offensive" aktiv, und sie setzt sich außerdem gegen die Zerstörung der historischen Altstadt ein. Menschen, die sich politisch engagieren, sind vielen suspekt. "Das Image von Protestierenden war ein sehr schlechtes", so die junge Frau, "das seien Vandalen, meinte man. Wir ändern das: Unsere Proteste sind freundlich, und natürlich gewaltfrei. Wir machen Picknicks oder Performances, es hat nichts Brutales an sich, sondern ist eher wie eine Freizeitbeschäftigung, obwohl wir unsere Anliegen durchaus ernst nehmen. Wir wollen den Protest positiv besetzen."

Zu Sowjetzeiten gab es keine Demonstrationen, die von unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern organisiert wurden, öffentliche Kundgebungen waren ausschließlich im Sinne der kommunistischen Partei. Die orange Revolution gilt als ein wirklich vom Volk getragener Umbruch. Der Mechanismus von öffentlichen Demonstrationen wurde danach von politischen Parteien aufgegriffen, die Teilnehmer bezahlten.

Das wird auch heute Demonstranten vorgeworfen, erzählt Anna Khvyl, dass sie nur auf die Straße gehen, weil sie dafür Geld kassieren. Es ist jedoch einfach zu unterscheiden, welche Demonstrationen von Parteien finanziert sind und welche unabhängig sind. Die Parteien können sich leisten, teure Transparente und Plakate zu drucken, alle anderen basteln ihre Materialien selbst, und das erkennt man gleich.

Kritische Kunst in der Sowjetunion

Um zu begreifen, welchen Status gesellschaftskritische Kunst in der Ukraine heute hat, lohnt sich ein Rückblick in die Kunstgeschichte. Zu Sowjetzeiten war die bildende Kunst, wie die Literatur, die Architektur und andere Kunstformen, ein Medium kommunistischer Propaganda. Der Sozialistische Realismus war der staatlich verordnete Stil.

Die Kunstkritikerin und Leiterin des Center for Contemporary Art, Kateryna Botanova, erklärt den Zusammenhang: "Gerade in der Ukraine existierte in der Sowjet-Zeit kaum oppositionelle Kunst oder ein Underground. Es gab Aktionismus in Odessa, eine dissidentische Bewegung im Kiew der 60er Jahre, ein wenig davon auch in Lemberg. Das meiste passierte in Russland, also in Moskau und St. Petersburg. In der Ukraine gab es diesbezüglich kaum etwas. Anfang der 1990er Jahre, nachdem die Sowjetunion gefallen war, wollten Künstler absolut nichts mit Ideologien zu tun haben. Die Kunst sollte restlos von ihrer zuvor ideologischen Aufladung befreit werden. Das sieht man der expressiven Malerei, die bis in die Mitte der 1990er Jahre entstand und unter dem Begriff Trans-Avantgarde zusammengefasst wird, auch an."

Fragile Gesellschaft

Der Umbruch kam 2004 mit der Orange Revolution. Junge Künstler, die unter dem Eindruck der Umbrüche standen, wollten nicht mehr wegsehen und einfach etwas Neutrales malen. Sie wollten Stellung beziehen, und das auch in ihrer Kunst. Kritische Recherche zu Gender-Themen, zu Identitätsfragen, Stadtpolitik oder Machtstrukturen zu betreiben – das ist fast ein Trend geworden, meint Kateryna Botanova:

"Ich glaube, das stellt einen wesentlichen Unterschied dar, weil in Europa die sozialen Umstände viel gefestigter sind. Deshalb ist auch der Zugang von Künstlern und Künstlerinnen ein anderer. Sie haben die Transformationen, die wir ständig durchlaufen, direkt vor sich. Die Missstände und Umwälzungen sind greifbar. Und Künstler erheben Anspruch darauf, nicht nur reflektieren sondern mitbestimmen zu können."

Die Kuratorin Natalyia Tchermalykh fügt hinzu: "Anders als in Europa, gibt es in der Ukraine keinen Diskurs über alternative, politische Visionen. Vielleicht liegt es an diesem Umstand, dass es hier normal ist, Aktivismus, Kunst und alles was man sonst so macht, zu durchmischen. Das ist ein interessantes Phänomen, das wir, als Beteiligte, wohl nicht im ganzen Umfang begreifen. Wir, die wir links orientiert sind und uns gegen Homophobie, Rassismus und andere Ausgrenzungen einsetzen, haben keine politische Partei, die uns vertritt, deshalb müssen wir das selbst übernehmen. Und die bildende Kunst ist ein Mittel, das dafür bereitsteht."

Ort für politischen Diskurs

Ein Knotenpunkt in dem Netzwerk an Aktivistinnen und Aktivisten ist das Visual Culture Research Center. Künstler, Intellektuelle, Akademikerinnen und Aktivisten arbeiten an der Schnittstelle von Kunst, Wissen und Politik. Der Leiter des Centers, Vasyl Cherepanyn, meint: "Es gibt verschiedene linksorientierte Organisationen hier. Diese haben keine Macht und sie sind nicht in offizieller Opposition; es sind Basis-Bürgergruppen, kleine Initiativen und Bewegungen, die am politischen Diskurs beteiligt sind. Wir befinden uns im Prozess, die Themen linker Politik in der Ukraine zu verhandeln."

Die Politisierung der jungen Intellektuellen hat nicht erst mit der Orange Revolution begonnen, sagt Cherepanyn, sondern schon davor, etwa durch die Proteste im Zusammenhang mit dem Aufdecker-Journalisten Georgyi Gonghadze, dessen Ermordung nie aufgeklärt wurde. "Auch das war eine sehr wichtige Bewegung, auch wenn Sie nicht so bunt und strahlend war wie die Orange Revolution. Ich glaube aber, dass diese großen, nationalen Ereignisse für unsere Generation weniger prägend waren, als der Zusammenhalt, den wir jetzt erfahren. Es gibt Solidarität, die weit über die Massenereignisse wie die Orange Revolution hinausgeht."

Solidarität und Austausch

Solidarität mit anderen Gruppen und Bewegungen ist für Cherepanyn wichtig, gerade in der zerrissenen und konsumorientierten ukrainischen Gesellschaft. "Wir haben so viel Außendruck, alle", sagt die Künstlerin und Aktivistin Yevgenya Belorusets, "wenn wir in Konkurrenz zu einander stünden, würden wir aussterben. Wie Tiere, die es nicht mehr gibt." Zusammenhalt braucht es auch gegenüber den Behörden, die für Gegenwartskunst wenig Verständnis haben.

Einen interessanten Einwand hat die Kunstkritikerin Ekateryna Botanova: Wenn das Kunstschaffen sich der sozialen Realität so stark annähert, dass sie zu einer politischen Handlung wird – was bleibt dann noch übrig an Kunst? Botanova bezweifelt, ob man von der Kunst alles erwarten kann. Keineswegs sollte das Potenzial der Kunst als Labor für alternative Denkweisen und Weltsichten unterschätzt werden, doch - das muss auch gesagt werden - die Anzahl an Menschen, die Kunst als Aktivismus und Aktivismus als Kunst praktizieren, ist äußerst gering.