Kunst muss unter die Haut gehen

"Generaldilettant" Fritz Ostermayer

"Kunst ist ein Überlebensmittel, das natürlich keinen Mehrwert abwerfen muss, aber es sollte tatsächlich der Herzens- und Lebensbildung dienen." Nach Ansicht des Radiomachers, Autors und Musikers Fritz Ostermayer hat sie auch mit Liebe zu tun.

"Generaldilettant", so betont dieser oft, also "Liebender in allen Belangen" möchte er gerne sein, denn "diletare" bedeute im Lateinischen ja "lieben" und "der Liebende hat immer recht!"

"Kunst muss einen umhauen"

Seit wenigen Tagen ist Fritz Ostermayer der neue Direktor der Wiener schule für dichtung, und auch an diese Tätigkeit wird er gemäß seiner Auffassung unakademisch herangehen: Es muss einen "umhauen", wenn Kunst stattfindet, so Ostermayers Worte. Das weiß der gebürtige Burgenländer seit langem:

"Da war ich sechs, sieben Jahre als ich zum ersten Mal von den Beach Boys 'Ba ba ba Barbara Ann' gehört habe. Ich bin mit Radio Burgenland aufgewachsen und da gab es immer nur die Schlager von Roy Black - und plötzlich hör ich einen unglaublichen Chor. Ich wusste nicht, wer das ist, ich wusste nicht, woher die kommen, ich wusste nur, das ist engelsgleich schön! Das kannte ich sonst nur von Sonntagsmessen in der Kirche - mir hat das immer sehr gefallen, wenn der Kirchenchor gesungen hat, aber plötzlich war das säkularisiert ich konnte das zu Hause hören, das hat mich umgehaut!"

Größeres da draußen

Ein paar Jahre später trat Ostermayer in die nächste Klasse der Lebensschule ein: Er kam in ein Schülerheim, dort durfte er, da sportlich unbegabt, die Nachmittage statt beim Turnunterricht bei den älteren Semestern im Billardzimmer verbringen.

"Die Achtklässler haben alles, was ich bin, in mir ausgelöst", erinnert er sich. "Die haben 1966 Miles Davies, Captain Beefheart, Abba und Schostakowitsch gespielt. Ich hab überhaupt nichts verstanden, aber ich wusste, da draußen gibt's eine Welt, die ist größer als das, was ich sonst immer nur höre und verstehen kann, die haben mich angefixt."

Philosophie der Gänsehaut

Seit vielen Jahren widmet sich Fritz Ostermayer in der FM4-Radiosendung "Im Sumpf" gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Edlinger der Förderung von Alltagskultur. Ihn interessieren Randbereiche oder exzentrisch anmutende Rituale, etwa die verschiedenen Arten von Trauermärschen in entlegensten Teilen der Erde. Ostermayer war weiters bereits Choreograph, und vor kurzem debütierte er am Schauspielhaus in Graz auch als Regisseur. Seinen Zugang zu Film, Musik und Literatur definiert er mit einer Selbstbeschreibung: Er sei ein "psychophysiologisches Weichei", so Ostermayer:

"Ich krieg so irrsinnig schnell Gänsehaut, wenn mir was gefällt - und irgendwann hab ich mir gedacht, wenn ich Gänsehaut kriege, dann muss das Kunstwerk was können. Und viele Jahre später lese ich bei Adorno den fantastischen Satz: 'Die Gänsehaut ist der erste Kritiker'. Er hat's genauso gemeint, wenn er bei seinen Arnold-Schönberg-Konzerten plötzlich voller Gänsehaut war, dann wusste er, das ist ein psychophysiologischer Reflex, der prinzipiell einmal eine Kritik des Gehörten darstellt."

Von Adornos Ausspruch war Fritz Ostermayer so fasziniert, dass er - anlässlich seines Amtsantritts als Direktor der schule für dichtung - eine Idee gebar: Die Philosophie der Gänsehaut soll auf den Bildschirmen der Wiener U-Bahnen verbreitet, Poesie unters Volk gebracht werden.

Kunst formt den Menschen

In seltenen Fällen bleibt Fritz Ostermayer der Zugang zu Kunst, trotz ehrlichen Bemühens, verwehrt: "Ich komme über Zwölftonmusik nicht hinaus, ich tu mich mit der Zweiten Wiener Schule unglaublich schwer." Sein Problem sei, "dass mein Zugang insgesamt zur Kunst wahrscheinlich immer zuerst vom Herzen aus geht und nicht von der Abstraktion - und die Zwölftonmusik geht mir nicht zu Herzen."

Seine erklärte Liebe zum Dilettantismus begründet Fritz Ostermayer übrigens mit einer strikten Abneigung gegen das Diktat der Meisterschaft: "Gerade von Goethe, diesem Meister, kommt der Satz: Der Dilettant bekämpft den Meister, denn Meisterschaft ist Diktatur." Eine Schule, und so auch die Schule für Dichtung, verfolgt, so heißt es, "pädagogische Absichten". Im Fall von poetischer Schulung ist dieses Streben allerdings nicht sofort erkennbar.

"Ich glaub nicht, dass Kunst irgendwas politisch bewirken kann, aber wie man bei mir sieht: Das, was ich bin, hat Kunst gemacht, das hat Literatur gemacht, das hat Musik gemacht", sonst wäre er wahrscheinlich "Postbeamter im Burgenland und wüsste von dem Zeugs nichts."