Das gelähmte Land

Erst am vergangenen Donnerstag ist der Irak von einer neuen, blutigen Welle der Gewalt heimgesucht worden. Bei fast zwei Dutzend Bombenanschlägen auf schiitische Pilger wurden mehr als 70 Menschen getötet. Sicherheit ist etwas, was die irakische Regierung den Menschen bisher nicht bieten konnte, vor allem weil politische Zerstrittenheit, Machtkämpfe und Korruption das Land lähmen.

Mittagsjournal, 16.6.2012

Regierungspartner wollen Maliki loswerden

Angst und Misstrauen, das seien die maßgeblichen Kräfte, die den Irak bis heute regieren, sagt Joost Hiltermann von der International Crisis Group, einer Nichtregierungsorganisation, die sich weltweit mit Krisenverhinderung beschäftigt. Die ethnisch-religiösen Konflikte zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden verschwanden seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein im Jahr 2003 nur einmal für kurze Zeit, jetzt werden sie wieder mehr oder weniger offen ausgetragen.

Ministerpräsident Nuri al-Maliki schmetterte gerade erst einen Misstrauensantrag gegen sich ab. Zu wenig gültige Stimmen, hieß es offiziell. Joost Hiltermann sieht aber vor allem folgendes Problem: "Die Regierungspartner von Ministerpräsident Maliki agieren wie eine Oppositionspartei und sie wollen ihn loswerden. Das schaffen sie nicht, aber gute Zusammenarbeit mit ihm ist jetzt auch ausgeschlossen. Bis zu den nächsten Wahlen werden wir eine sehr unangenehme Situation haben. Die Wahl wird die letzte Möglichkeit sein, Maliki demokratisch loszuwerden."

Irakische Verfassung schwach

Schon jetzt sagt die in sich ebenfalls zerstrittene Opposition, dass Maliki wie ein Autokrat regiere. Immerhin ist er Regierungschef, Chef des Geheimdienstes, Chef der Armee und Innenminister. Es ist die Angst der Schiiten vor einer sunnitischen Machtübernahme, die Maliki dazu getrieben habe, diese Ämter zu kumulieren, sagt Joost Hiltermann. Genauso, wie die Sunniten jetzt Angst vor der schiitischen Machtfülle haben.

"Das Problem ist, dass er wirklich Macht angesammelt hat. Die Opposition sagt, das ist undemokratisch und gegen die Verfassung, aber so einfach ist das nicht. Die Verfassung ist schwach und Maliki hat das ausgenützt", analysiert Hiltermann. Wenn sich Maliki über die nächste Wahl hinaus an der Macht halten kann, sieht Hiltermann kaum Chancen, die blutige Gewalt auf den Straßen zu beenden.

"Kurden schwächen Maliki vorsätzlich"

Joost Hiltermann prognostiziert eher eine Zunahme der gewalttätigen Auseinandersetzungen: "Wenn er die nächste Wahl gewinnt, legal oder nicht, werden seine Gegner anders reagieren als jetzt und den Konflikt auf die Straße tragen. Diese Angriffe werden dann einen großen Einfluss auf die Politik haben."

Eine starke und einige Regierung, wie sie der Irak als ein Land im Aufbau bräuchte, sieht jedenfalls anders aus. Dazu kommt noch, dass die Kurden, die in ihrer autonomen Region im Norden selbst einen autokratischen Präsidenten haben, aber dank des Ölreichtums wenigsten wirtschaftlich aufblühen, die Regierung in Bagdad aus Eigeninteresse schwächen, wo sie können. Auch der blutige Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien könnte, wenn er sich noch ausweitet, zur Instabilität der ganzen Region, besonders aber des Irak, beitragen. Anschlagsserien wie in der vergangenen Woche werden sich dann häufen, sieht Joost Hiltermann pessimistisch in die Zukunft.