Wie der islamistische Terror unseren Wohlstand sprengt
Der Angriff
Auch nach dem Tod von Osama bin Laden gehe von Al-Kaida eine große Gefahr aus, ist der Wirtschaftsjournalist Ulrich Schäfer überzeugt. Die islamistischen Terroristen wollen nämlich nicht bloß Menschen töten, sondern unseren Wohlstand zerstören. "Der Angriff" ist der Titel seines Buches.
8. April 2017, 21:58
Vereitelte Anschläge
Im Oktober 2010 gaben Mitglieder des jemenitischen Ablegers von al-Kaida in Sanaa zwei Pakete bei den Frachtfirmen UPS und FedEx auf, die bestimmt waren für jüdische Gemeinden in Chicago, der Heimatstadt des amerikanischen Präsidenten Obama. Die Pakete enthielten zwei Drucker, deren Farbpatronen mit Sprengstoff gefüllt waren, die beim Landeanflug explodieren sollten. Es kam nicht dazu, der saudische Geheimdienst bekam Wind von der Sache und warnte die westlichen Kollegen. Die Paketbomben konnten rechtzeitig entschärft werden. Ein Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus? Nicht wirklich.
In seinem Online-Magazin "Inspire" gab al-Kaida bekannt, die ganze Operation habe dem Netzwerk summa summarum gerade mal 4.200 Dollar gekostet, Amerika und andere westliche Länder aber hätten einen viel höheren Preis zu bezahlen. Der vereitelte Anschlag wird sie – Zitat "Inspire" - "ohne Zweifel Milliarden für neue Sicherheitsmaßnahmen kosten. Das nennen wir Hebelwirkung", höhnte al-Kaida. "Operation Hemorrhage", "Operation Ausbluten", nannten die Terroristen die Aktion und gaben sich überzeugt: "Um Amerika zu Fall zu bringen, brauchen wir keine Großangriffe."
Drastisch erhöhte Sicherheitsbestimmungen
Vier Jahre zuvor planten drei junge Araber in London, gemeinsam mit anderen Mitstreitern sieben Verkehrsflugzeuge zu sprengen. Sie wollten nach dem Start auf den Flugzeugtoiletten mit Hilfe von Getränkeflaschen, ausgehöhlten Batterien und Flüssigsprengstoff Bomben basteln, die dann unterwegs nach New York, Chicago, Washington und anderswo gezündet werden sollten. Britische Ermittler vereitelten die Tat. Ein misslungenes Attentat auch dieses. Aber kein folgenloses.
Um potenzielle Sprengstoffanschläge zu verhindern, wurden danach die Sicherheitsbestimmungen im Luftverkehr drastisch verschärft. Seitdem dürfen keine größeren Getränkeflaschen mehr ins Handgepäck, anderes, wie Shampoos, Cremes oder Zahnpastatuben, muss in kleine, durchsichtige Plastikbeutel. Der Attentatsversuch von London - "eine Verschwörung mit gravierenden Konsequenzen für die Weltwirtschaft", wie Ulrich Schäfer in seinem neuen, gründlich recherchierten Buch schreibt, das dem islamistischen Terror eine gezielte Strategie unterstellt.
"Darauf gestoßen bin ich schon bei meinem ersten Buch, das ich vor vier Jahren geschrieben habe, über die Finanzkrise, 'Der Crash des Kapitalismus', wo ich nachgezeichnet habe, wie es zur Finanzkrise gekommen ist", erzählt der Autor. "Da ist mir schon bewusst geworden, dass die Anschläge des 11. September ein ganz wichtiger Wendepunkt waren in Weltgeschichte, aber insbesondere auch in der Geschichte der Weltwirtschaft. Dann habe ich mir damals schon angeschaut, was sind eigentlich die Ziele von al-Kaida. Da war schon zu erkennen, al-Kaida führt einen fanatischen Krieg gegen den Westen, aber dahinter gibt es eine sehr nüchterne Strategie, die besagt, der Westen ist dort am verletzlichsten, wo der Wohlstand entsteht, nämlich in seiner Wirtschaft."
Ruinöser Wirtschaftskrieg
In "Der Angriff. Wie der islamistische Terror unseren Wohlstand sprengt" will Ulrich Schäfer zeigen, dass der Terror von al-Kaida und Co. kein blinder, willkürlicher und allein religiös motivierter ist. Die Islamisten folgten einem langfristigen Plan, ihr Krieg sei in Wahrheit ein Wirtschaftskrieg, gerichtet gegen den westlichen Kapitalismus. Schon der Angriff auf das World Trade Center sei ein Angriff in erster Linie auf den Wohlstand gewesen und geschah nicht zufällig im September 2001, sondern einem nüchternen ökonomischen Kalkül folgend.
"Die amerikanische Wirtschaft hatte ein Jahrzehnt des Wachstums, des Booms erlebt", so Ulrich Schäfer. "Dann ist aber die Blase der New Economy geplatzt. Mitten in diesen Abschwung hinein, der gerade zu Ende zu gehen schien, hat al-Kaida die Anschläge des 11. September platziert und damit letztlich erreicht, dass aus einem Abschwung eine richtig heftige Rezession wurde, die nicht nur die amerikanische Wirtschaft, sondern auch die europäische Wirtschaft erfasst hat. Insofern war das Timing damals schon aus Sicht von al-Kaida relativ perfekt. Sie haben einen Feind getroffen, der schon angeschlagen war."
Al-Kaidas Geldvernichtung
Der einstige Kopf von al-Kaida, Osama Bin Laden, war nicht nur ein religiöser Eiferer, er war beides, sagt Schäfer: "Demagoge und Ökonom, Fanatiker und Wirtschaftsmann". Der Sprössling einer der reichsten Familien Saudi-Arabiens studierte Volks- und Betriebswirtschaft und betätigte sich als Unternehmer und Manager. In einem Interview mit al-Dschasira im Oktober 2001 rechnete er einem Journalisten vor, dass die Anschläge vom 11. September die amerikanische Wirtschaft am Ende mehr als eine Billion Dollar kosten würden. In einer Videobotschaft ein Jahr später kündigte er weitere Anschläge an, die, so Bin Laden, auf die "Schlüsselbereiche" der amerikanischen Wirtschaft zielen würden.
In einem anderen Statement führte er aus, "dass durch jeden Dollar, den al-Kaida eingesetzt hat, eine Million Dollar vernichtet wurden". Aber auch viele Jobs seien zerstört und die amerikanischen Staatsschulden in Rekordhöhe getrieben worden. Doch Bin Laden, der, so Schäfer, "kühl kalkulierende Unternehmer des Terrors", wollte nicht nur die amerikanische Wirtschaft treffen, sondern den Kapitalismus generell, er wollte, so wörtlich, die Welt "von der Globalisierung und ihren tragischen Auswirkungen" befreien:
"Zum einen strebt al-Kaida an, den Westen zu schwächen und ihn dadurch zum Rückzug aus der arabischen Welt zu zwingen. Das zweite Ziel ist eben in der arabischen Welt einen islamischen Gottesstaat zu errichten und mit diesem Gottesstaat auch diese meist säkularen Regime abzulösen, die den Reichtum der arabischen Welt, vor allem das Öl und das Gas, an den Westen verschleudert haben. So zumindest die Darstellung von al-Kaida", sagt Schäfer.
Ursache für den Bankencrash
Die kühnste These von Schäfers Buch heißt: "Nine Eleven" hat "Nine Fifteen" mitausgelöst, der Anschlag auf das World Trade Center im 9. September 2001 war mitverantwortlich für den Bankencrash am 15. September 2008. Die Kriege, die George Bush geführt hat unter dem Vorwand, al-Kaida zu besiegen, der Afghanistan- und der Irak-Krieg, hätten zu der enormen Staatsverschuldung der Amerikaner beigetragen. Die Politik des billigen Geldes, die die amerikanische Notenbank vor allem nach dem 11. September mit rapiden Zinssenkungen verfolgt hat, um die Wirtschaft anzukurbeln, habe die riskanten Geschäfte der Investmentbanker befördert und die Blase auf dem amerikanischen Immobilienmarkt mitverursacht.
Und schließlich hänge auch der rapide Anstieg des Ölpreises mit dem Anti-Terror-Krieg zusammen und habe die amerikanische Wirtschaft massiv geschwächt.
"Natürlich war all das etwas, was al-Kaida so nicht voraussehen konnte", meint Schäfer. "Sie hatten die grobe Vorstellung davon, sie wollen den Westen treffen, sie wollen die Wirtschaft schwächen. Wie dieser Prozess der Schwächung am Ende ablaufen würde, das konnten sie nicht voraussehen. Aber das haben sie halt billigend in Kauf genommen."
Von Historiker inspiriert
Glaubt man Ulrich Schäfer, dann wurden die al-Kaida-Vordenker mit ihrem Plan des "ökonomischen Dschihad" von einem bekannten Werk des Historikers Paul Kennedy inspiriert, mit dem Titel "Aufstieg und Fall der großen Mächte". Kennedy führte darin aus, wie Weltmächte, die ihren strategischen Einfluss mehr als nötig ausdehnen und zu oft zu teure Kriege führen, unter ihrem Machtanspruch zusammenbrechen. Kennedy nannte das "imperiale Überdehnung". Genau in diese Falle sei auch Amerika getappt. Die USA haben heute mehr als 15 Billionen Dollar Staatsschulden, ungefähr ein Drittel davon lässt sich direkt oder indirekt auf den Krieg gegen den Terror zurückführen.
Die Islamisten hätten ein konkretes Ziel im Visier, sagt Schäfer, er nennt es das "Nervensystem der Globalisierung". Sie wollen Flugzeuge und U-Bahnen sprengen, Raffinerien und Häfen, Transportwege und Handelszentren - davon versprechen sie sich die massivsten "Hebelwirkungen", die stärksten Schocks und die größten finanziellen Schäden. Gibt es denn überhaupt Mittel, sich gegen diesen Terror zu wappnen, ohne sich in einen endlosen, unbezahlbaren Krieg zu stürzen? Was hilft gegen diese Taktik der Zermürbung und Ausblutung?
"Der direkte Kampf gegen die Terroristen muss einerseits gezielt erfolgen, so wie es die Amerikaner seit einiger Zeit machen", sagt Schäfer. "Sie versuchen jetzt mit chirurgischen Schlägen al-Kaida zu schwächen, durch den Angriff mit Drohnen, eben nicht mit Zehn- oder Hunderttausenden von Soldaten. Und es zeigt sich, dieser Angriff mit Drohnen ist sehr viel effektiver. (...) Wir müssen aber noch sehr viel mehr tun, um unsere Wirtschaft sicher zu machen, die großen Logistikzentren, die großen Handels- und Verkehrsrouten sicher zu machen, wir müssen aber auch mehr tun, um einen ganz wichtigen Übertragungsweg für alle Krisen, die wir derzeit erleben, nämlich die Finanzmärkte, stabiler zu machen. Dann würde auch ein Terroranschlag, wie wir ihn bei 9/11 erlebt haben, viel geringere Auswirkungen haben auf die Weltwirtschaft. Das heißt, wir müssen eigentlich unsere ganze Anti-Terrorpolitik anders definieren. Wir müssen zum Beispiel auch, wenn es darum geht, an den Wurzeln, dort wo der Terror entsteht, etwas tun, unsere ganze Entwicklungspolitik anders ausrichten. Es kann nicht darum gehen, nur Schulen, Krankenhäuser und Brunnen zu bauen, sondern wir müssen sehr viel mehr dafür tun, dass in Ländern, wo der Terror blüht, in der arabischen Welt, im Jemen, in Somalia, im nordwestlichen Afrika, eine stabile Wirtschaft entsteht, dass dort Wohlstand entsteht und dass damit der religiöse Fanatismus, der Terrorismus für junge Leute nicht mehr so verlockend erscheint."
Ziel einer Vision
In seinem Buch "Der Angriff" macht Ulrich Schäfer mit geradezu ermüdender Eindringlichkeit und viele Wiederholungen in Kauf nehmend klar: Der Krieg der islamistischen Terroristen ist ein Wirtschaftskrieg. Er sagt aber auch, Ziel der Islamisten ist die Errichtung eines neuen Kalifats, der Wirtschaftskrieg ist also letztlich doch ein einer religiösen Vision untergeordnetes Mittel zum Zweck.
Bin Ladens Tod bedeute nicht das Ende dieser Vision - und nicht das Ende des Terrors. Panzer, Bomben und Raketen aber seien nicht die richtige Antwort auf diesen Terror, und es genüge auch nicht, "Gesetze zu verschärfen, die Macht der Terrorermittler zu stärken und Soldaten auf Auslandseinsätze zu schicken". "Was wir benötigen", so Schäfer, "ist eine Wohlstandssicherheitspolitik". Er erwähnt dabei eine ganze Reihe notwendiger Sicherungsmaßnahmen – sie betreffen unter anderem die Warenströme, die Energieversorgung, die Computernetze, die Finanzmärkte und die Staatsfinanzen; Maßnahmen, die hier allerdings eher skizziert als genauer ausformuliert werden. Eines aber ist klar: Der Kampf gegen den Terror ist teuer, er wird uns Wohlstand kosten, und wir sollten uns darauf einstellen, dass uns diese Kosten noch lange belasten werden.
Service
Ulrich Schäfer, "Der Angriff. Wie der islamistische Terror unseren Wohlstand sprengt", Campus Verlag
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