Krimi von Oliver Bottini
Der kalte Traum
Im August 1995 - der Krieg auf den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien steht im fünften Jahr - starten kroatische Armeeverbände eine so bezeichnete "Operation Sturm" zur Rückeroberung der vorwiegend serbisch besiedelten Krajina rund um die Stadt Knin. Ein militärischer Erfolg für die Kroaten, der die Vertreibung von zumindest 100.000 Serben nach sich zieht.
8. April 2017, 21:58
Jahre später ist diese vom damaligen kroatischen Präsidenten Tudjman gefeierte Offensive ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ante Gotovina, Ex-Fremdenlegionär, kroatischer General und Kommandant im südlichen Abschnitt der Krajina, wurde im vergangenen Jahr wegen "Verstößen gegen das Kriegsrecht" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu 24 Jahren Haft verurteilt. Ein von ihm angestrengtes Berufungsverfahren läuft. So viel zum zeitgeschichtlichen Hintergrund von Oliver Bottinis neuem Kriminalroman.
Neues Terrain
Bottini, gebürtiger Nürnberger mit Wohnsitz in Berlin, gilt als solide Marke in der aktuellen deutschen Krimiliteratur. Seit 2004 hat er fünf Romane mit einer Freiburger Polizeikommissarin als Chefermittlerin veröffentlicht - Bücher, die durchwegs positive Kritiken und auch Preise bzw. Auszeichnungen bekommen haben.
In seinem neuen Krimi mit dem Titel "Der kalte Traum" ermitteln aber andere Personen und zwar getrennt voneinander: ein Berliner Polizist und eine deutsche Journalistin, die als Auslandskorrespondentin in Zagreb arbeitet.
Lebt der Kapetan?
Zum Plot: 15 Jahre nach der "Operation Sturm" in der Krajina kehrt der Krieg in ein baden-württembergisches Dorf zurück. Der kroatische Geheimdienst hat sich auf die Suche nach einem Deutsch-Kroaten gemacht, der als Freiwilliger in Kroatien gekämpft und Waffenlieferungen auf den Balkan organisiert haben soll. Offiziell ist der Mann seit Jahren tot, aber es gibt berechtigte Zweifel, und es gibt ein Zeitungsfoto aus dem Jahre 1995 aus Knin, das ihn zeigt, wie er seine Pistole an den Kopf eines alten Mannes hält. Bildunterschrift in der kroatischen Regionalzeitung: "Ein serbischer Schlächter zittert vor der gerechten Strafe durch den jungen Kapetan".
In Zagreb beginnt die deutsche Korrespondentin zu recherchieren, sie wittert ihre große Story, während der Berliner Kommissar von seinem Onkel gebeten wird, sich der Sache in Baden-Württemberg anzunehmen. Der heute im Rollstuhl sitzende Mann war Anfang der 1990er Jahre oberster Beamter im deutschen Außenministerium, Abteilung Jugoslawien und Balkan, gewesen.
Geschichte des Jugoslawien-Krieges
Das klingt kompliziert, und ehrlich gesagt hat Oliver Bottini seinen Polit-Thriller über den sogenannten "Jugoslawien-Krieg" auch etwas kompliziert - positiv kann man es auch vielschichtig nennen - angelegt. Mit permanenten Orts- und Zeitwechseln in Kapitelformat wird nicht nur die Lebensgeschichte des "Kapetan", eines jungen Mannes, der in die Fänge kroatischer Nationalisten und Kriegstreiber gerät, erzählt, sondern auch die Geschichte des Krieges selbst und jener internationalen Verstrickungen, die Ende des vergangenen Jahrhunderts zum Massenmord auf dem Balkan geführt haben.
Das ist recht viel für die Dramaturgie eines Kriminalromans, auch wenn er ein Politthriller ist, der Fakten mit Fiktion verbindet - "faction" nennt sich die aus dem Amerikanischen stammende Genrebezeichnung, die auch ein Johannes Mario Simmel immer wieder für sich reklamiert hat, für seine meisten Bücher, übrigens zu recht.
Die andere Wahrheit
Bei Oliver Bottini ist die Sache nicht nur komplizierter, wie schon gesagt, sondern auch komplexer. Er begeht eine Gratwanderung zwischen Krimi und Geschichtslektion, inklusive Widmungen und ausführlichem Glossar, die - und das ist das Erstaunliche - bis zum Schluss gang- und lesbar ist.
Fazit: Wer es wissen will und es bisher noch nicht wusste, erfährt hier eine andere Facette, um nicht zu sagen: ein Gegenbild zu den lange Zeit massenmedial verbreiteten Wahrheiten über den sogenannten "Jugoslawien-Krieg". Wer einen spannenden Krimi lesen will, kommt im Großen und Ganzen auch auf seine Kosten - an Morden und Showdowns mangelt es nicht. Trotz - und das hat jetzt nichts mit der ex-jugoslawischen Geschichte zu tun - einiger Klischees und Stilblüten.
Service
Oliver Bottini, "Der kalte Traum", Dumont Verlag
Dumont - Der kalte Traum