Brian Greene über unser Multiversum

Die verborgene Wirklichkeit

Das Universum zu verstehen ist keine leichte Sache. Das beginnt schon mit unserer Galaxie, der Milchstraße. Diese soll geschätzte 100 Milliarden Sterne beinhalten. Eine wahrlich astronomische Zahl. Aber damit nicht genug: Es gibt noch viele, viele andere Galaxien. Und schwarze Löcher. Und schwarze Energie. Und dann die Vorstellung, dass sich das Universum seit dem Urknall rasant ausbreitet. Wie lange kann das gut gehen?

Ergebnis der Berechnungen

Mit dem oft zitierten gesunden Hausverstand kommt man also nicht weit. Und dann legt Brian Greene noch etwas nach: In seinem Buch "Die verborgene Wirklichkeit" schreibt der prominente US-Physiker, worüber sich die Avantgarde der Astroforscher den Kopf zerbricht: Über die Möglichkeit, dass es nicht nur ein Universum, sondern deren mehrere geben soll. Also ein Multiversum. Für Brian Greene ist das - historisch betrachtet - ein logischer Forschungsansatz.

"Wenn wir die Kosmologie eingehend genug studieren - und auch die Quantenmechanik, und die Stringtheorie und selbst die klassische Physik, dann führt uns jede dieser Disziplinen und Theorien an den Punkt, wo sich ein Multiversum aufdrängt", so Brian Greene im Gespräch. "Es ist nicht so, dass wir Wissenschaftler irgendwo in einem dunklen Hinterzimmer sitzen und sagen: 'Wäre es nicht spannend, wenn andere Universen existierten? Und wie könnten wir diese Überlegung am besten in unser Verständnis vom Kosmos hineinstopfen?' Ganz im Gegenteil! Wir stellen unsere ganz normalen Berechnungen an. Und die Möglichkeit eines Multiversums drängt sich als mathematisches Resultat auf. Es ist, als würde einen jemand am Kragen packen und sagen: Schau doch mal! Welcher Schluss ergibt sich aus der Mathematik?"

Der Schluss der Berechnungen: Unser Universum ist möglicherweise nicht einzigartig. Mathematik, so Brian Greene, kann zwar nicht die gesamte Wirklichkeit erklären. Und muss auch nicht in allen Fällen stimmen. Doch die Vergangenheit hat gezeigt: Mathematik ignoriert man besser nicht.

"Die Mathematik hat schwarze Löcher vorhergesagt, ehe wir sie gefunden haben", so Greene. "Einstein hat beispielsweise nicht daran geglaubt. Und schwarze Löcher gibt es wirklich. Die Mathematik hat uns auch gesagt, dass sich das Universum ausdehnt. Und wieder hat Einstein gesagt: Nein, nein. Das kann nicht stimmen. Und dann haben Beobachtungen die Mathematik bestätigt. Das Universum dehnt sich tatsächlich aus."

Die Schuhe der Imelda

Die "Washington Post" nannte den Autor mehrerer Bestseller über Astrophysik einmal den derzeit besten Mann, um abstruse Ideen zu erklären. Brian Greene bemüht sich sehr, Begriffe und Denkgebäude in Alltagsbilder zu übersetzen. Das folgendee Zitat stammt aus einem Abschnitt über unendliche Möglichkeiten im endlichen Raum. Das erklärt der Autor am Beispiel von Imelda, einer modebewussten Dame mit 500 reich bestickten Kleidern und 1000 Paar Designerschuhen.

Was war vor dem Urknall?

Doch auch die beste Verschränkung von theoretischer Physik und Alltagserfahrung kommt irgendwann nicht um Quanten-, String- und sonstige Theorien herum. "Die verborgene Wirklichkeit" fällt also eher in die Kategorie der anspruchsvollen Sachbuchlektüre. Denn Brian Greene schreibt über mathematische Konstrukte. Andere Planeten, die Geburt oder den Tod von Sternen kann man mit Teleskopen beobachten. Doch Paralleluniversen sind unsichtbar.

"Verschiedene Studien führen zu verschiedenen Modellen eines Multiversums", so Greene. "Das einfachste hat sich aus den Überlegungen von Forschern ergeben, die über den Urknall nachdenken. Wir stellen uns den Urknall oft als Ereignis vor, das das Universum geschaffen hat und für die Ausdehnung verantwortlich ist. Doch diese Sichtweise lässt etwas Wichtiges aus: nämlich den Urknall selber. Wir erfahren damit nur, was nach der Explosion passiert ist und wie unser Universum sozusagen geboren wurde. Es stellt sich also die Frage: Was hat diese Explosion eigentlich ausgelöst?

Eine Erklärungsmöglichkeit für die Energie, die zum Urknall geführt hat, nennt sich inflationäre Kosmologie. Und demnach gibt es auch nicht nur einen einzigen Urknall, sondern mehrere.

"Ich würde nicht sagen, dass andere Urknalle den unseren verursacht haben", meint Greene. "Diese Explosionen sind unabhängig voneinander passiert. Man sollte also nicht sagen: Der Urknall, sondern ein Urknall. Unser Universum entstand nach einem Urknall, andere Universen nach anderen. Es ist möglich, dass es unendlich viele solcher Explosionen gegeben hat. Das mag merkwürdig klingen, denn das bedeutet: es gibt unendlich viele Universen. Aber, wie gesagt: Das ist eine Möglichkeit."

Den möglichen mathematischen Hinweis für ein solches Szenario erklärt Brian Greene wiederum auf anschauliche Weise. Man stelle sich ein Schaumbad vor: "Wenn man an viele Urknall-Explosionen denkt, sollte man sich folgendes Bild vor Augen vorstellen: ein riesiges, kosmisches Schaumbad. Und jede Schaumblase ist ein Universum. In einem Schaumbad kollidieren Schaumblasen miteinander. Wenn wir nun die diesen Modellen zugrunde liegende Mathematik genauer betrachten, sehen wir: Auch Universen können in diesem kosmischen Schaumbad zusammenstoßen. Wenn unser Universum mit einem anderen kollidiert, sollte man eine Spur davon in der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung ablesen können. Diese Strahlung ist ein Überrest vom Urknall, der unser Universum hervorgebracht hat. Kleinste Temperaturunterschiede nach einem bestimmten Muster wären ein Beweis dafür, dass unser Universum mit einem anderen zusammengestoßen ist."

Mögliche Konzepte

Die inflationäre Expansion ist ein Konzept für Paralleluniversen. Und sie ist historisch nicht einmal das erste. Der Großvater des Gedankens von Multiversen ist Hugh Everett von der Princeton University. Das war in den 1950er Jahren seine Schlussfolgerung aus der Quantenmechanik. Doch niemand wollte damals etwas davon wissen.

Brian Greene beschreibt in seinem Buch insgesamt neun mögliche Konzept für Parallelwelten. Und was ist, wenn sich doch herausstellen sollte: Es gibt nur dieses eine Universum? "Ich bin völlig offen für die Möglichkeit, dass es nur dieses eine Universum gibt", sagt Greene. "Ich bin offen für die Möglichkeit, dass die Stringtheorie, die eine Möglichkeit eines Multiversums erklärt, falsch ist. Ich bin für die Wahrheit offen. Das ist für mich das einzig Wichtige."

Service

Brian Greene, "Die verborgene Wirklichkeit", aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel, Siedler Verlag

Siedler - Die verborgene Wirklichkeit