Kompromiss im flämisch-wallonischen Streit

Nach einem halben Jahrhundert ist in Belgien ein wichtiger Schritt zur Lösung des Sprachenstreits gelungen. Zahlreiche Regierungen sind daran gescheitert, Premier Elio Di Rupo wagt nun ein Experiment: Ein Wahlbezirk, der symbolhaft für den Konflikt zwischen Flamen und den französischsprachigen Wallonen steht, wird geteilt.

Mittagsjournal, 14.7.2012

ORF-Korrespondentin Sabine Schuster berichtet aus Brüssel.

Di Rupo wagt Tabubruch

Belgiens Premier Elio Di Rupo hat durchgebracht, woran seine Amtsvorgänger ein halbes Jahrhundert lang gescheitert sind. Der wallonische Sozialist hat mit dem Vorschlag, den umstrittenen Wahlbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde zu teilen, einen Tabubruch für französischsprachige Politiker gewagt und neben den Sozialisten, auch Konservative, Liberale und Grüne aus beiden Sprachregionen für sich gewonnen.

Der Wahlbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde, kurz BHV, ist das Symbol für den Sprachenstreit. Das Umland der Hauptstadt Brüssel gehört zur niederländischsprachigen Region Flandern. Bislang gab es in BHV zwei Wahlzettel, einen mit flämischen Parteien, einen mit wallonischen. Die französischsprachige Minderheit in Halle-Vilvoorde konnte also ihre Stimme den meist fränzösisch sprechenden Kandidaten aus Brüssel geben, was den flämischen Parteien natürlich ein Dorn im Auge war.

Damit ist jetzt aber Schluss. Premier Elio di Rupo sagte - obwohl französischsprachig - vor dem Parlament diesmal in Niederländisch: "BHV wird geteilt. Einige reden, wir handeln und sind stolz darauf."

Zu wenig für die Flamen

Mehrere zehntausend Wallonen, die in Halle-Vilvoorde leben, können künftig nur mehr flämische Parteien wählen. Der Wahlbezirk Brüssel bleibt zweisprachig, weil die Hauptstadt ja offiziell zweisprachig ist. 106 Abgeordnete stimmten für den Kompromiss, 42 dagegen.

Für die nationalistischen flämischen Parteien ist die jetztige Lösung immer noch zu wenig. Ben Weyts von der rechtspopulistischen Neuen flämischen Allianz: "Das ist ein Rückschritt für die Flamen. Das Gebiet der Region Flandern wird beschnitten und damit die niederländische Kultur und dafür dürfen wir auch noch einen dicken flämischen Geldsack bereitstellen. Das habt ihr verbrochen."

Di Rupo: Weg frei für restliche Staatsreform

Denn die Wallonen bekommen für die Zustimmung zur Teilung des Bezirkes BHV mehr Geld für die Hauptstadt Brüssel, in der die Mehrheit der Bürger französischsprachig ist. Die genauen Summen werden noch verhandelt. Mit der Lösung des Sprachstreits sei der Weg frei für die restliche Staatsreform, zeigt sich Premier Elio di Rupo, diesmal in seiner Muttersprache Französisch, vor dem Parlament erleichtert: "Gemeinsam machen wir aus Belgien einen modernen und bürgernahen Staat. Belgien wird zu einem effizienteren Bundesstaat mit gestärkten Regionen und Gemeinden."

Geplant ist, den Sprachregionen mehr Kompetenzen zu übertragen, auch in der Steuerpolitik, und die Finanzzuweisungen an die Regionen neu zu regeln. Das soll nun schnellstens unter Dach und Fach gebracht werden.