Julia Fischers Beobachtungen
Affengesellschaft
Julia Fischer ist Professorin für Kognitive Ethnologie an der Universität Göttingen und am Deutschen Primatenzentrum. Eigentlich wollte Fischer Meeresbiologin werden, Affen waren aber dann doch interessanter als träge Robben.
8. April 2017, 21:58
"In einer Stadt voller Affen, bin ich der King", singt der deutsche Musiker Peter Fox über die Stadt Berlin in seinem Song "Stadtaffe". Mich laust der Affe, jemanden nachäffen, ein geleckter Affe, Klappe zu - Affe tot, und sich zum Affen machen. Nicht nur in Liedern oder alltäglichen Redewendungen sind unsere nächsten Verwandten integriert, der Vergleich Mensch-Affe weist eine lange Tradition auf.
Welcher Zusammenhang zwischen Sozialsystem, Intelligenz und Kommunikation bei Affen besteht, war die Frage, die die Verhaltensbiologin Julia Fischer bei ihrer Forschungsarbeit angetrieben hat.
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Die anderen Affen faszinieren uns - gehören wir doch zur selben Ordnung, nämlich den Primaten.
"Den Affen" gibt es nicht
Die Protagonisten dieses Buches sind Berberaffen, Bärenpaviane und Guineapaviane, schreibt Fischer als ersten Satz ihres Buches und klärt auf: "den Affen" oder "den Pavian" gibt es nicht. Primaten existieren seit etwa 80 Millionen Jahren und lassen sich in drei Gruppen aufteilen: Feuchtnasenaffen, zu denen beispielsweise die madagassischen Lemuren gehören. Die zweite Gruppe sind die Tarsier, nachtaktive Primaten, die in den Regenwäldern von Südostasien leben. Und jene Affen, zu denen Gibbons und Menschenaffen, also Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse, Bonobo - und Mensch zählen.
Fischer hat viele Jahre an Berberaffen, den einzigen Makaken, die in Afrika leben, geforscht.
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Als ich das erste Mal sah, wie eine ganze Gruppe von Affen auf so ein kleines Kind blickte, wurde mir klar, dass Ansammlungen von Leuten, die in einen Kinderwagen starren, Ausdruck ganz alten Primatenerbes sind. Das enorme Interesse der anderen Gruppenmitglieder für die Neugeborenen ist für diese nicht ganz ungefährlich. Manchmal wird ein Kind nicht nur von einem Männchen durch die Gegend geschleppt, sondern von einem älteren oder ranghöheren Weibchen entführt.
Erziehung auf Äffisch
Fischer beschreibt auch das allabendliche Drama beim Schlafenlegen: Das Affenbaby möchte bei der Mutter liegen und schreit so lange, bis diese nachgibt. Erst wenn sich nach der Paarungszeit der nächste Nachwuchs unterwegs ist, kann sich die Affenmama gegenüber dem Erstgeborenen durchsetzen.
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Einmal habe ich gesehen, wie ein kleiner Berberaffe nach einem langen Schreianfall an die Brust der Mutter gelassen wurde. Plötzlich riss die Mutter das Kind von sich. Es hatte sie anscheinend in die Brust gekniffen. Sie griff sich das Kind und biss ihm kräftig ins Bein. Es gibt bei Affen also durchaus eine Form von "Erziehung".
Unsichere Teenager
Ähnlich wie kichernde Mädchengruppen im Teenager-Alter dürften auch junge Affendamen nicht ganz wissen, wie ihnen geschieht, wenn sie mit drei bis vier Jahren geschlechtsreif werden: "Sie nähern sich schnatternd mit Furchtgrinsen an, um bei der geringsten Bewegung des Männchens kreischend davon zu laufen. Irgendwann trauen sie sich dann doch und recken den Männchen ihre Hinterteile entgegen", beschreibt Fischer das Vorspiel bei der Paarung von Berberaffen.
Die weiblichen Berberaffen paaren sich im Übrigen mit fast allen Männchen der Gruppe. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Laute, die die Weibchen von sich geben: Zwischen Struktur der Rufe und dem Paarungserfolg bestehe eine Korrelation, so die Verhaltensbiologin. Die Rufe beeinflussen zum Beispiel wie sich die anderen Männchen in der Gruppe verhalten.
Der Boss bestimmt, wo's lang geht
Entgegen dem Bild der "drei Affen", bei dem sich ein Affe die Hände vor die Augen, einer über die Ohren und einer vor den Mund hält, senden Affen kommunikative Signale aus. Mantel-Paviane sind ein schönes Beispiel für die Kommunikation in Gruppen: Täglich müssen sie in der Früh entscheiden, in welche Richtung sie ihre Schlafplätze verlassen. Die Entscheidungsträger sind in der Regel die erwachsenen Männchen.
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Die Initiatoren laufen üblicherweise in eine bestimmte Richtung, kommen zurück und "benachrichtigen" ein anderes Männchen. In einer eher abgeschwächten Form besteht das Benachrichtigen nur aus einem kurzen Blick über die Schulter, gefolgt von einer übertriebenen Kopfdrehung. Die präferierte Richtung zeigen die Initiatoren durch ihre Bewegung an oder auch durch ein starres sägebockartiges Stehen, wobei sie sich ebenfalls in die gewünschte Richtung orientieren. Ist der Entscheider nicht einverstanden, kann er dies durch ein ostentatives Hinsetzen und Auf-den-Boden-Starren anzeigen.
Angeregte Kommunikation
Auch die männlichen Bärenpaviane sind äußerst kommunikativ, erzählt Julia Fischer, die in Botswana viele Lautaufnahmen gemacht hat: Die Männchen tauschen mit ihren Rivalen sogenannte Displaysignale aus, um den Zustand des anderen abzuschätzen, bevor sie sich in den Kampf wagen. Je ähnlicher der Rang der Tiere war, desto eher haben sie angefangen zu kämpfen. Bei unterschiedlicher Stellung in der Gruppe wurde der Streit meistens mittels Signalen, also einem Schreiduell beigelegt.
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Bevor ein Männchen in eine ordentliche wahoo-Sequenz ausbricht, pumpt es sich mit kehligen Lauten, den sogenannten "roar gunts", regelrecht auf. Dann rennen zwei oder drei Männchen laut rufend hintereinander her, oft um Bäume herum, manchmal auch den Baum hoch und wieder runter, und rufen die ganze Zeit: Wahoo, wahoo, wahoo.
Julia Fischer liefert mit "Affengesellschaft" einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, berichtet von bekannten Experimenten und schildert lebendig ihren Alltag als Affenforscherin. Im Übrigen findet Sie den Affen im Menschen bemerkenswerter als den Menschen im Affen.
Service
Julia Fischer, "Affengesellschaft", Suhrkamp Verlag
Suhrkamp - Julia Fischer