Ein ambivalentes Verhältnis

Bad Ischl

Die süßeste Erinnerung an das Salzkammergut hört auf den Namen Zaunerstollen. Der Zaunerstollen ist eine stollenartig geformte Süßspeise aus Oblaten und Schokolade. Sie stammt aus der, wie mir in den zahllosen Weihnachtsferien, Semesterferien, Osterfreien und Sommerferienbesuchen immer wieder eingebläut wurde, zweitberühmtesten und mindestens zweitbesten Konditorei Österreichs.

Wie praktisch alles in Bad Ischl verweist der Energieriegel auf die Vergangenheit, mit der sich Bad Ischl, seitdem ich denken kann, als Hauptstadt der Salzkammergutseligkeit verkauft. Der Name des Backwerks erinnert an die eher nicht so gute alte Zeit der Knochenarbeit in den Stollen des momentan nicht einmal mehr touristisch ausgebeuteten Salzbergwerks, für das der Kurort auch bekannt ist. Erfunden wurde der Zaunerstollen 1905. Also zu einer Zeit als man sich als Konditorei noch "k. u. K. Hofzuckerbäcker" nannte, und nicht, wie heute auf der Website, die Einschränkung "ehemalige" davorsetzen muss.

Monarchistische Nostalgie

Mit dem Ewiggestrigen hat man in Bad Ischl kaum Probleme, denn man versteht das Ewiggestrige nicht als Last der Nazigeschichte, sondern als monarchistische Nostalgie. Bad Ischl ist stolz darauf, dass die sogenannte Kaiservilla einst als Sommerresidenz diente, und diese Adelung übersetzt das Marketingsprech von heute in immer mehr Retro-Events: Beliebt ist die Kaisernacht anlässlich des sich heuer zum 182. Mal jährenden Geburtstags Franz Joseph des I. am 18. August, dazu gesellt sich der Kaiserzug, die Kaisermesse, das Kaiser-Golf-Turnier, und der Kaiserbummel, der, (Zitat) "majestätische Einkaufserlebnisse" verspricht, inklusive rotem Teppich nach dem Motto: Der Kunde ist Kaiser.

Dem Kundenkaiser wird in Bad Ischl übrigens überdurchschnittlich viel Loden und Lederhosen angeboten, wahrscheinlich trägt sich das gut zum Operettenfestival und vielleicht sogar auch zum Country-Music-Festival, beides ist jedenfalls wertkonservativ genug und findet jährlich in Bad Ischl so verlässlich statt wie der Sommerregen.

Nicht Urlaub, sondern Sommerfrische

Die Lodendichte im Winter und die Lederhosendichte im Sommer fiel mir jedenfalls schon als für einige Wochen im Jahr dort zwangsstationierter Teenager aus Mödling auf. Meine Großeltern hatten eine Ferienwohnung gekauft, die später meine Eltern übernahmen. Um 1980 herum, ich war damals 13, verblassten die Freuden der Kindheit, die Zaunerstollen, die Köpfler in die kristallklaren Seen und die schwarzen Pisten der Dachsteinregion. Plötzlich war alles fad und spießig, und ich wollte überall hin, nur nicht nach Bad Ischl. Und langsam setzte ich mich immer öfter durch, blieb in den Ferien zuhause oder fuhr mit Freunden mit dem Interrail-Ticket durch Europa. Erst als Student in Wien bekam ich Wind davon, dass es sogar in Bad Ischl eine Szenen gab, die Alternativerockbands hervorbrachte, die sich zum Beispiel Kurort nannten. Trotzdem folgten natürlich Jahre des Boykotts.

Inzwischen komme ich, altersmilder und ironiefähiger, wieder ab und zu nach Bad Ischl, in die gleiche Wohnung, aber mit eigenem Auto. Das eigene Auto macht einen ersten großen Unterschied: Es panzert gegen die Außenwelt und versichert einem die Möglichkeit der Distanz durch Mobilität. Den zweiten großen Unterschied macht wohl die selektive Wahrnehmung. Man riecht den Fluss und nicht den Dirndlschweiß auf der Esplanade, man sieht die alten Stadtvillen und nicht die Gartenzwerge davor, und man hört den I-Pod und nicht den "Kaiserjodler".

Nur der Zaunerstollen ist immer noch der, der er immer war. Ich bekomme ihn auch jetzt noch verlässlich zweimal im Jahr. Immer dann, wenn meine Eltern aus Bad Ischl zurückkehren. Zum Sommerurlaub sagen sie übrigens - wie so viele Wahl-Ischler - seit einiger Zeit wieder "Sommerfrische".