Jagd nach den Äckern der Welt
Bodenrausch
Seit der Finanzkrise 2008 suchen Anleger weltweit nach sicheren und rentablen Anlegemöglichkeiten. Dabei sind sie auf etwas gestoßen, das jahrzehntelang vernachlässigt wurde: Ackerland. Wie früher beim Goldrausch versetzt heute die Jagd nach wertvollen Böden Investoren in Euphorie.
27. April 2017, 15:40
Ihre Rechnung ist einfach: Die Ernährung der Weltbevölkerung hängt von fruchtbaren Böden ab und die werden täglich knapper, also kostbarer und teurer. Traumhafte Renditen winken. Gleichzeitig werden Bauern und Hirten von ihrem Land vertrieben, weil sie keine oder kaum geschützte Landrechte besitzen.
Der Journalist Wilfried Bommert, der 2009 das viel beachtete Buch "Kein Brot für die Welt" vorgelegt hat, analysiert in seinem neuen Buch Hintergründe des "Bodenrauschs".
Paradigmenwechsel steht bevor
Es sind sehr beunruhigende Fakten, die Wilfried Bommert auftischt. Wenn "die globale Jagd nach den Äckern der Welt" - so der Untertitel seines Buches - ungebremst weitergeht, könnten bald heftige Verwerfungen die Welt erschüttern. Denn obwohl es für die Konsumenten der Industriestaaten, die weiterhin vor prall gefüllten Supermarktregalen die Qual der Wahl haben, nicht erkennbar ist, vollzieht sich in der Landwirtschaft weltweit ein Paradigmenwechsel. Zunehmend verlieren Bauern ihr Land, das in die Verfügungsgewalt von Finanzinvestoren übergeht.
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Mittlerweile haben sich Tausende in den Markt eingeklinkt, Millionen von Hektar Land sind auf dem Weg in neue Hände, Milliarden von Dollar liegen bereit, um die Konten zu wechseln. Schätzungsweise 40 Prozent der Ackerflächen der Welt stehen zum Verkauf. Ein Bodenrausch ohne Beispiel steht an - mit dramatischen Folgen für die Weltgemeinschaft.
Zukunftsszenario
Welche Folgen das sein könnten, zeigt Bommert anhand eines fiktiven Szenarios für das Jahr 2020:
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Ein Geschwader mit F-15-Kampfflugzeugen steigt in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, in den Morgenhimmel auf. Sein Ziel ist Pakistan, seine Aufgabe die Verteidigung nationaler Interessen.
Was ist passiert? Mehrere 100.000 Hektar Ackerland, die Saudi-Arabien von der pakistanischen Regierung gepachtet hat, sind abgeerntet und das Getreide wird mit Lastwagen in Richtung Küste gefahren. Der Weg führt durch Dörfer, die sich von den Flutwellen, die seit 2010 das Land heimsuchten, nie erholt haben. Taliban springen der notleidenden Bevölkerung bei und stoppen die Wagen. Darauf ruft der Staatspräsident Pakistans die Saudis zu Hilfe, und die schicken die Bomber los.
Dieses Szenario ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Tatsächlich hat Pakistan Saudi-Arabien Land zur Pacht angeboten und erklärt, man werde bis zu 100.000 Sicherheitskräfte bereitstellen, um die Ernte zu schützen. Es ist allerdings nicht bekannt, ob es tatsächlich zu einem Vertrag dieser Art gekommen ist.
Steigende Nachfrage nach Äckern
Viele andere Landdeals weltweit sind jedoch bekannt geworden. Im ersten Teil seines Buches "Von Tätern und Opfern" stellt Bommert auf 180 Seiten dar, wer sich wo und mit welchen Methoden Ackerland aneignet. Und vor allem, warum Ackerland so knapp wird.
Der Hauptgrund ist die steigende Nachfrage, da die Weltbevölkerung weiterhin wächst. In Ländern wie China steigt gleichzeitig der Hunger nach Fleisch gewaltig an, was zu einem vielfachen Bedarf an Getreide führt. Außerdem haben Staaten wie Saudi-Arabien, die bisher mit enormem Aufwand selbst Weizen erzeugt haben, festgestellt, dass ihnen das Wasser ausgeht, und suchen daher nach Äckern in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel im Sudan oder in Äthiopien.
Hinzu kommen weitere Faktoren, die das Problem verschärfen. Da das Ende des Ölzeitalters unausweichlich näher rückt, suchen die mächtigen Energiekonzerne der Welt nach neuen Energieträgern.
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Agrosprit, also Ethanol aus Mais und Zuckerrohr, rückt auf der Liste ihrer Begehrlichkeiten immer weiter nach oben. Der Run auf neue "Öl-Felder" wächst. Mehr als die Hälfte der Landnahme weltweit geht auf Rechnung der Agrospritindustrie.
Angesichts immer knapperer und teurerer Ölvorräte sieht sich auch die Kunststoffindustrie nach Ersatzrohstoffen um und kauft Ackerland. Und dann gibt es noch Spekulanten, die beim Kampf gegen den Klimawandel auf das große Geschäft hoffen.
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In Afrika, Asien und Südamerika ergattern findige Unternehmer mit fragwürdigen Aufforstungsaktionen Klimazertifikate und nähren damit ebenfalls den weltweiten Bodenrausch.
Wege aus der Krise
Im zweiten Teil "Peak Soil - die Grenzen des Wachstums" legt der studierte Agrarwissenschaftler Bommert anschaulich dar, dass das Angebot an Ackerland stark zurückgeht.
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Mehr als ein Drittel der globalen Ackerflächen, 400 Millionen Hektar, haben im 20. Jahrhundert ihre Fruchtbarkeit verloren, weil sie falsch bearbeitet wurden. Doch auch im 21. Jahrhundert stört sich anscheinend niemand daran. Die Vernichtung geht weiter.
Doch Wilfried Bommert belässt es nicht bei düsteren Szenarien, sondern skizziert im dritten Teil "Verlorenen Boden wiedergutmachen" auch Wege, die die globale Boden-Krise verhindern oder zumindest abschwächen könnten. Das Wichtigste sind Anbaumethoden, die Ackerland nicht nur bewahren, sondern sogar wieder vermehren können. Als Beispiel nennt er das steirische Kaindorf, wo seit 2007 intensiv an der Humusgewinnung gearbeitet und geforscht wird. Durch große Humusgaben erzeugen die Äcker nicht nur bessere Ernten, sondern sie speichern auch große Mengen an Klimagasen.
Hunger contra Fettleibigkeit
Um die gewaltige Lücke, die sich zwischen der Nachfrage und dem Angebot nach Ackerboden auftut, zu verkleinern, gibt es zwei Bereiche mit großem Potenzial. Zum einen gilt es, die gewaltigen Verluste zu verringern. Nur etwa die Hälfte der erzeugten Lebensmittel landet tatsächlich in unseren Mägen. Zum anderen steht die Menschheit vor der komplexen Aufgabe, Hunger und Fettleibigkeit, unter der 1,5 Milliarden Menschen leiden, mehr ins Gleichgewicht zu bringen.
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Wenn man die Überernährung der 1,5 Milliarden in Fläche umrechnet, ergibt sich eine Größenordnung von mehr als 100 Millionen Hektar, die nicht eingesetzt werden müssten. Eine Fläche, die rein rechnerisch reichen würde, um mehr als 500 Millionen Menschen zusätzlich zu ernähren. Das wäre der Landgewinn durch gesunde Ernährung.
Bommert ist überzeugt, dass die Finanzinvestoren, die nun weltweit Boden kaufen, ähnlich verantwortungslos handeln werden, wie vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008.
Im letzten Teil "Dem Bodenrausch den Boden entziehen" beschreibt er politische Maßnahmen, die nötig wären, um die gegenwärtige Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken. Dabei vertraut er weniger auf die Politik als auf die Zivilgesellschaft.
Wichtiges Thema
Wilfried Bommert hat ein faktenreiches Buch geschrieben. Dank umfangreicher Quellenangaben lassen sich bestimmte Aspekte leicht vertiefen. Allerdings ist es ein Schreibtischwerk. Nur die wenigsten Schauplätze hat Bommert selbst besucht, mit nur wenigen Akteuren selbst gesprochen.
Wer an bunten, lebendigen Nahaufnahen interessiert ist, dem sei das zeitgleich im Rotbuch Verlag erschienen Buch "Landraub - Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus" empfohlen. Stefano Liberti, ein renommierter italienischer investigativer Journalist, hat tatsächlich den Koffer gepackt, um an die Schauplätze des Landraubs zu reisen und mit den Betroffenen zu sprechen.
Beiden Autoren gebührt das Verdienst, ein Thema aufgegriffen zu haben, das die Menschheit noch lange beschäftigen wird.
Service
Wilfried Bommert, "Bodenrausch. Die globale Jagd nach den Äckern der Welt", Eichborn Verlag
Eichborn - Bodenrausch
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