Streit über Grenzen für Schutzschirm

In der Debatte um eine Lösung der Schuldenkrise wird besonders kontrovers diskutiert, ob der künftige Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eine Banklizenz bekommen soll und unbegrenzt Kredite bei der Europäischen Zentralbank (EZB) aufnehmen darf.

Mittagsjournal, 1.8.2012

Schirm mit Feuerkraft

Es gibt wieder enormen Gesprächsbedarf. Angeheizt hat die Debatte ein Vorschlag aus Italien und Frankreich. Demnach soll der Euro-Rettungsfonds ESM mit, wie es heißt, unbegrenzter Feuerkraft ausgestattet werden. Für genügend Munition samt Nachschub bis auf Widerruf soll die Europäische Zentralbank EZB sorgen. Führende Mitglieder des EZB-Rates, der morgen in Frankfurt zusammenkommt, würden das unterstützen.

"Riegel vorschieben"

Ein klares Nein dazu kommt von der deutschen Bundesregierung. Ein Geldfluss ohne Ende unter einem Rettungsschirm ohne Grenzen komme nicht in Frage. Eine Begründung liefert Jürgen Starke, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB: "Das ist ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht. Denn es bedeutet unbegrenzte und indirekte Staatsfinanzierung über die Europäische Zentralbank. Dem muss man einen Riegel vorschieben."

"Deckel aufgeben"

Die Lage bestimme die Maßnahmen, argumentiert hingegen Rudolf Hinkel, renommierter Wirtschaftswissenschaftler in Bremen. Viele Anleger zweifeln, dass die Rettungsschirme reichen, falls weitere Euro-Länder aufgefangen werden müssten. Daher sei die Zentralbank gefordert, die Geldruckmaschinen anzuwerfen und günstige Kredite über den Rettungsfonds zu ermöglichen. "Wenn dieser Rettungsfonds einen Deckel hat, ist es immer für Spekulanten interessant. Daher ist es wichtig, dass diese Begrenzung aufgegeben wird.""

Schon jetzt seien die Maastricht-Bestimmungen gedehnt oder verletzt worden, sagt Hinkel. Der 20 Jahre alte Vertrag müsse angesichts der Schuldenkrise samt Folgen geändert werden. Die Gründungsfehler müssten "in einem bitteren Prozess" korrigiert werden. Dann könne sich die EZB wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückziehen.

Gefahr für Reformeifer

Bei den Nachteilen einer unlimitierten Hilfe sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig. Sie sehen bei künstlich niedrig gehaltenen Zinsen die Gefahr einer höheren Inflation, auch wenn das Risiko momentan gering ist. Gewichtiger ist ein anderes Argument: Die Aussicht auf theoretisch unbegrenzte Unterstützung durch den Rettungsfonds dürfte jeglichen Reformeifer in den Euro-Ländern schlagartig zum Erliegen bringen.