Robert Menasse
Wenn es so etwas wie einen Zeitgeist gibt, eine Stimmung, die kennzeichnend für eine jeweils bestimmte Epoche ist, dann sind es meist die Kulturschaffenden, die Dichter, Maler und Philosophinnen, die dieses Gefühl zum Ausdruck bringen. Heute ist der Schriftsteller Robert Menasse zu Gast.
27. April 2017, 15:40
Kulturjournal, 9.8.2012
"Verfolgungswahn" müsse der Grund für ein paradoxes Verhalten der Bürgerinnen und Bürger hierzulande sein, meint der Schriftsteller Robert Menasse. Obwohl sich niemand dem Zwang eines totalitären Systems beugen muss, nimmt man etwa die zahllosen Kameras, die den öffentlichen Raum bewachen, in vorauseilendem Gehorsam hin; man billigt immer dreistere Wünsche, etwa von Versicherungen, in private Daten Einsicht zu nehmen; und man besteht auf patrouillierendem Grenzschutz an Grenzen, die längst aufgelassen sind.
Zugleich gibt es die sogenannten "Wutbürger", die mehr Freiheit und Selbstbestimmung in den Belangen des Alltagslebens fordern. Bei diesen handle es sich jedoch im Grunde nicht wirklich um politisch denkende Zeitgenossen, sondern um Schrebergärtner des häuslichen Glücks, die über die Grenzen des Landes nicht hinauszuschauen vermögen, analysiert Robert Menasse.
Kein grenzüberschreitendes Denken
Brüssel, der Verwaltungsort der Europäischen Union, ist fern, und die Vorstellungen, was dort vor sich geht, sind abstrakt, so Robert Menasse. Die Folge: ein beharrliches Verteidigen nationaler Interessen, um die Idee eines grenzüberschreitenden Denkens gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Noch verwunderlicher findet Robert Menasse aber, dass sich in Fragen der EU kaum Künstler und Intellektuelle zu Wort melden. Eine Ausnahme dabei bildet lediglich der Philosoph Jürgen Habermas; andere Denker, wie etwa der Essayist Hans Magnus Enzensberger, verwahren sich gegen jegliche Einmischung "der EU" in nationale Belange, beobachtet Menasse.
Grundlage für die Kultur
Er, Menasse, wünsche sich eine starke Kulturpolitik, die günstige Rahmenbedingungen für Künstler und Künstlerinnen herzustellen vermag. Sein Wunsch ist indes weit davon entfernt, Wirklichkeit zu werden. So weit entfernt wie Brüssel, wo Menasse sich immer wieder aufhält.
Die EU ist nicht ausschließlich ein wirtschaftliches Projekt, betont Robert Menasse. Ökonomie muss lediglich die Grundlage liefern für etwas, das für eine Gesellschaft noch entscheidender ist: für die Kultur.
Robert Menasse, dessen nächstes Buch, ein Essay mit dem Titel "Der europäische Landbote", übrigens Ende September bei Zsolnay erscheint, ist fest davon überzeugt, dass es von höchstem Interesse ist, zu verstehen, was in der EU passiert: aus dem einfachen Grund, weil es unser aller Lebensstoff ist.