Debütroman von Vea Kaiser

Blasmusikpop

Der Begriff "Popliteratur" ist mittlerweile in Verruf geraten. Was zu Beginn der 2000er Jahre noch aufregend und neu war - junge Menschen erzählen von ihrem Leben und kümmern sich nicht mehr länger um die Bedeutungsschwere, die der deutschen Literatur seit jeher eingeschrieben zu sein scheint - ist heute bloß noch leere Geste.

Zumeist beklagen die jungen Autoren, dass in ihrem Leben und in der Literatur nichts mehr passiert. Was zur Folge hat, dass die Autoren nur um sich selbst kreisen und ihre Texte oft vorhersehbar und langweilig sind. Vea Kaisers Roman hingegen strotzt nur so vor literarischen Einfällen. Da gibt es eine altphilologische Geheimgesellschaft, eine Seifenkiste, mit der ein Bub zum Mond fliegen will, eine seltsame Verschwörung der Dorfältesten, ein junges Mädchen, das Drillinge gebiert, und und und.

Wenn der Opa mit dem Enkel

Alles beginnt mit einem 14,8 Meter langen Fischbandwurm. Von diesem wurde Johannes Gerlitzen befallen. Er war von seiner Krankheit dermaßen fasziniert, dass er sein Dorf verließ, in die Stadt ging, um zu studieren, und dann als Arzt in die Heimat zurückkehrte. Gerlitzen ist in seinem Dorf ein einsamer Kämpfer, einer, der für das Wissen eintritt und gegen die Dumpfheit ankämpft.

Dem eigentlichen Helden des Romans begegnet der Leser erst nach 100 Seiten, denn solange dauert es, bis Johannes A. Irrwein das Licht der Welt erblickt. Er ist der Enkel von Johannes Gerlitzen und zusammen mit seinem Opa erforscht er schon in jungen Jahren die verschiedensten wissenschaftlichen Gebiete.

Johannes A. Irrwein ist ein seltsamer Held. Er ist verschlossen, stöbert am liebsten in seinen Büchern und will ansonst mit dem Leben im Dorf so wenig wie möglich zu tun haben. Er ist ein Außenseiter; die anderen im Dorf stehen seinem Wissensdurst mehr als skeptisch gegenüber.

Keine Plattitüden

Vea Kaisers Roman ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Einmal, weil dieser Roman wirklich ein Roman ist und nicht - wie das bei jungen deutschsprachigen Autoren und Autorinnen heute so oft der Fall ist - bloß eine groß gedruckte Erzählung. Was an diesem fast 500 Seiten starken Debütroman aber am meisten überrascht, ist die Abgeklärtheit der 1988 geborenen Autorin. Egal ob Vea Kaiser ihre Protagonisten über Liebe sprechen lässt, über Scheidung oder über den Tod: Niemals verfällt sie in Plattitüden oder ergeht sich in Altklugheit. Und sie schafft es, ihre Romanfiguren als Menschen zu zeichnen und nicht als klischeehafte Stereotypen.

"Blasmusikpop" ist ein heiteres Buch. Es ist literarisch hochstehende Unterhaltung im besten Sinn. Der Roman mag leicht daherkommen – aber die Leichtigkeit ist das Ergebnis harter Arbeit. Zwei Jahre lang hat Vea Kaiser sechs Stunden täglich an diesem Buch geschrieben - am Ende mitunter sogar zehn Stunden am Tag. Insgesamt hat sie den Text zwölfmal umgeschrieben, bevor sie ihn ihrem Lektor gab.

Am Ende des Romans weiht der örtliche Fußballverein die Flutlichtanlage mit einem Match gegen St. Pauli ein; Andy Borg singt und Johannes A. Irrwein küsst das wunderschöne Mädchen aus der Stadt. Es müssten nur noch Peter Alexander und Gunter Philip auftreten, dann wäre das Samstagnachmittag-Film-Happyend perfekt.

Service

Vea Kaiser, "Blasmusikpop. oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam", Kiepenheuer & Witsch

Kiepenheuer & Witsch - Blasmusikpop