Kommentar zu Johannes 6, 51 – 58
Johanneische Mystik, wie in dieser Schriftstelle, ist genau genommen nichts für Radiosendungen. Ihre tiefe Wahrheit zu entdecken, ist eine Lebensaufgabe, mit der Regina Polak auch noch lange beschäftigt sein wird.
8. April 2017, 21:58
Wer diese Schriftstelle aus dem Johannesevangelium wörtlich oder gegenständlich liest, könnte den Eindruck bekommen, Christen sind Kannibalen. Zumindest kenne ich Kinder, die mich nach Eucharistiefeiern gefragt haben, ob wir denn Menschenfresser sind, wenn wir das Fleisch und Blut von Jesus essen und trinken. Aber auch für theologisch gebildete Erwachsene wie mich ist dieser Text schwer verständlich, vor allem wenn man nach seinem geistlichen Gewinn fragt.
Dieser Text möchte mystisch verstanden werden. Er erschließt sich in seiner tiefen Wahrheit nur dann, wenn man im Alltag und durch Übung mit der eucharistischen Erfahrung vertraut ist. Und dies ist ein lebenslanger Lernprozess. So ist der Text ja auch entstanden: Er beschreibt, was gläubige Menschen gelernt haben wahrzunehmen, wenn sie Eucharistie feiern. Er beschreibt ein Geheimnis, das sich in seiner Fülle jenen erschließen kann, die sich darauf einlassen, den Lebensweg mit Jesus Christus zu gehen. Um ihn zu verstehen, braucht es die Einbettung in einen christlich gelebten Alltag. Auch ich bin zu diesem Verständnis noch unterwegs und kann nur in Bruchstücken beschreiben, was ich wahrnehme, wenn ich diesen Text höre.
Dem Text liegt die Erfahrung zugrunde, dass das ganze Leben völlig verwandelt wird, wenn Menschen die Gaben Jesu Christi annehmen. Wenn sie auf dem Boden einer tiefen Beziehung zu ihm miteinander essen und trinken. In diesem Vorgang verwirklichen und feiern sie ihre Geschichte mit Gott, der die Verwandlung des ganzen Lebens ermöglicht. Wenn Jesus sagt: Dies ist mein Fleisch, bedeutet dies im Horizont der damaligen Denkwelt: Das bin ICH. Wenn er sagt: Dies ist mein Blut, so heißt dies: Dies ist mein LEBEN.
Wer ihn und sein Leben als Geschenk annimmt, dem wird Anteilhabe am ewigen Leben zugesagt: nach dem Tod - und auch schon jetzt. Das gemeinsame Mahl feiern eröffnet neues Leben.
Das für viele Menschen - damals wie heute - Anstößige ist die Verbindung einer geistlichen Heilszusage mit einem so überaus sinnlich-konkreten Vorgang wie dem Essen und Trinken. Aber genau darin liegt für mich die tröstliche und heilsame Nachricht: Das Heil kommt ganz konkret, sinnlich wahrnehmbar, nicht nur im Inneren meiner Seele. Es vollzieht sich in besonderer Weise in einer Tätigkeit, die in allen Kulturen der Weltgeschichte Ausdruck von Freude, Fülle, Leben ist: Im gemeinsamen Essen und Trinken. In einer Feier, bei der durch dieses gemeinsame Tun die Unterschiede zwischen den Menschen – soziale, kulturelle, ökonomische – nachrangig werden können. Mit magischer Verwandlung von Brot und Wein in eine spiritualisierte Wirklichkeit oder gar einem archaischen Opferritual hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Eine durch und durch irdische Handlung – gemeinsames Essen und Trinken - wird zum "Werkzeug", in dem sich Verwandlung der Menschheit vollziehen kann, wenn man sie im Geist Christi vollzieht. Arbeit und Mühe, symbolisiert im Brot, das sein Fleisch ist, werden geheiligt; aber auch die Lebensfreude, symbolisiert im Wein, das sein Blut ist. Die Voraussetzung: Sein Fleisch und sein Blut annehmen: ihn und sein Leben bejahen. Dann werden Brot und Wein zur wahrhaftigen Speise, zum wahrhaftigen Trank, die sättigen und den Durst stillen – nach Leben. Das Irdische und das Geistige sind zuinnerst verbunden. So beginnt aus katholischer Sicht die Verwandlung der Welt – in einer Feier.
Benedikt XVI. beschreibt dieses Geheimnis so: "Brot und Wein werden sein Leib und sein Blut. Aber an dieser Stelle darf die Verwandlung nicht Halt machen, hier muss sie erst vollends beginnen. Leib und Blut Jesu Christi werden uns gegeben, damit wir verwandelt werden. Wir selber sollen Leib Christi werden, blutsverwandt mit ihm. Wir essen alle das eine Brot. Das aber heißt: Wir werden untereinander eins gemacht. Anbetung wird Vereinigung. Gott ist nicht mehr bloß uns gegenüber der ganz Andere. Er ist in uns selbst und wir in ihm. Seine Dynamik durchdringt uns und will von uns auf die anderen und auf die Welt im Ganzen übergreifen, dass seine Liebe wirklich das beherrschende Maß der Welt werde."
Der Johannestext steht in dieser Erfahrung. Eine solche Erfahrung kann man nicht verordnen, nicht planen oder inszenieren, sie erschließt sich durch Übung und wird von Gott geschenkt.
Wer diesen Text meditiert, lernt zu verstehen, warum die Eucharistiefeier in der katholischen Tradition einen so hohen Stellenwert hat. Sie ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt, Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens.
Aber: Wo und wie lernt man in der Kirche eine solche mystische Wahrnehmung der Wirklichkeit? Ich wünsche mir mehr Hilfe für die Wirklichkeit der Eucharistiefeier.
Wenn dieses gemeinsame Mahlfeiern Menschen einen und die Welt verändern kann: Wie lassen sich die vielen Ausschlussregelungen begründen, die sich um dieses Geheimnis ranken? Gerade dann, wenn Menschen Gottes verwandelnde Liebe besonders brauchen, wird ihnen der Zugang verweigert?
Wie lange darf man ökumenische Einigungsprozesse noch hinausschieben?
Und kann ein Wortgottesdienst angesichts dieses Textes eine Eucharistiefeier ohne weiteres ersetzen? Wird dies nicht zu leichtfertig in der katholischen Kirche angesichts von Priestermangel eine auch in Österreich übliche Praxis? Hat nicht die Sicherung des Zugangs zur Eucharistiefeier Vorrang vor der Sicherung der historisch gewachsenen Zulassungskriterien zum Priesteramt, angesichts der Johannesworte: "Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag."