Alex Capus im Wilden Westen

Skidoo

Der Wilde Westen, man muss es nicht extra betonen, ist ein populärkultureller Mythos, und so, wie er in Filmen, Büchern und unzähligen Groschenromanen, aber auch in Gemälden, vor allem im 19. Jahrhundert dargestellt wird, war er eher nicht.

Der Wilde Westen ist ein Konstrukt jener, die nicht oder nur am Rande dabei waren, als der nordamerikanische Kontinent von Ost nach West nicht einfach durchmessen, sondern regelrecht erobert wurde. Einerseits weil es den eingewanderten Europäern als auch den Kolonialverwaltungen vor der Unabhängigkeit unerträglich war, mit dem Rücken zu einer Wildnis zu leben, von der man nicht wusste, welche Bedrohungen in ihr lauerten. Andererseits weil man sich enorme Reichtümer erhoffte, die dann, ab Mitte des 19. Jahrhunderts, tatsächlich in Form von Gold vom äußersten Westen her, von Kalifornien und Alaska, über den Kontinent hinweg blitzten - bis nach Europa.

In den späten 1840er Jahren ging es dann auf den Wegen nach Westen tatsächlich wild zu, denn einen funktionierenden Staat, der von der Ostküste bis Kalifornien reichte, gab es nicht. Es gab in der Praxis keine Rechtssicherheit, keine öffentliche Ordnung, es gab das Recht des Stärkeren. Und das ist ein ziemlich unromantischer Zustand.

Jenseits der Zivilisation

Der Weg nach Westen ist dennoch bis zum heutigen Tag hartnäckig mit der Vorstellung von Freiheit und Abenteuer verbunden. Davon weiß auch Alex Capus zu erzählen, der sich vom schweizerischen Olten aus auf den Weg in den Wilden Westen der USA gemacht hat, um dort zu erleben, wie selbiger als Abziehbild eines ohnehin schon verlogenen Klischees funktioniert. Und zwar auf der legendären Route 66, die den Kontinent von Ost nach West durchschneidet.

Aber so war es ja immer schon mit dem Wilden Westen: die Wirklichkeit wurde im 19. Jahrhundert bereits überlagert von Projektionen, mit denen sich bereits Generationen von Psychoanalytikern beschäftigt haben: Es geht ums Eindringen und Vordringen, um Eroberung, um die Erfahrung der Leere, die einen umschließt. Natürlich war es die Aussicht auf Reichtum, die Menschen am unteren Ende der sozialen Skala dazu bewogen hat, sich auf einen Weg zu begeben, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Tod führte. Aber es war eben auch die Aussicht darauf, dass jenseits der Zivilisation soziale und ökonomische Regeln außer Kraft gesetzt werden.

Wenn man, wie Alex Capus, die Überreste der von den Glückssuchern aus dem staubigen Boden gestampften Städte besucht, Skidoo etwa Salt Wells oder Panamint City am Rande des Death Valley, dann sieht man selbst heute noch: hier ist niemand glücklich und fast niemand reich geworden. Und das Klima war mörderisch, was auch immer man dagegen unternahm.

Kamele aus Nordafrika

Heute ist die Geschichte des Wilden Westens auch oder sagen wir: vor allem eine Ansammlung von haarsträubenden Geschichten, weil in einer weitgehend regelfreien Zone natürlich Entgrenzungsphänomene möglich sind, die der zivilisatorische Panzer oft nicht einmal mehr in Gedanken zulässt. Die Populärkultur schöpft daraus seit 150 Jahren und es sieht nicht so aus, als sei ein Ende in Sicht. Vor allem deshalb nicht, weil dieser Wilde Westen immer noch das Biotop ist, in dem der amerikanische Gründungsmythos wurzelt, der bis heute das geopolitische Handeln der USA mitbestimmt.

Rechtsbruch als Methode ist bei Alex Capus allerdings kein Thema: Sklavenhandel ebenso wenig wie der Umgang mit der indigenen Bevölkerung. Zumindest aber erzählt er davon, wie die US-Regierung Mitte des 19. Jahrhunderts in Nordafrika Kamele und Treiber rekrutiert hat, mit deren Hilfe man die kürzesten Wege durch die Wüsten von Texas, Arizona und New Mexico finden wollte. Und davon, wie ein jordanischer Kameltreiber namens Hadji Ali zur Wildwestlegende Hi Jolly werden konnte.

Service

Alex Capus, "Skidoo. Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens", Hanser Verlag

Hanser - Skidoo