Ulrich Seidls "Paradies: Glaube" in Venedig

Ulrich Seidls zweiter Teil der "Paradies"-Trilogie - "Paradies: Glaube" - ist Österreichs Beitrag bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig. Teil Eins: "Paradies: Liebe" - ist bereits heuer in Cannes präsentiert worden und gehörte dort zu den meist diskutierten Filmen.

Morgenjournal, 29.8.2012

Teresa - Wienerin, Mitte 50 - Urlaub in Kenia: Sextourismus als Schlagwort in Teil eins der Trilogie. Hinter den offensichtlichen Tabuthemen eröffnen sich dann die wahren menschlichen Abgründe, die sich nicht mehr auf Schlagworte reduzieren lassen. Denn wie immer bei Ulrich Seidl geht es auch in "Paradies: Liebe" um mehr: Um Einsamkeit etwa, Blicke und Bedürfnisse, die einander verfehlen, um den Körper als Ware.

Ursprünglich als ein großer Spielfilm geplant, hat sich das "Paradies"-Projekt während der Produktion zur Trilogie gewandelt. Drei Geschichten von drei Frauen "Liebe - Glaube - Hoffnung", präsentiert in Cannes, in Venedig und Teil drei wahrscheinlich - aber noch nicht sicher - bei den Filmfestspielen in Berlin. Ulrich Seidl ist längst angekommen in der ersten Riege des europäischen Autorenkinos, zeigte sich in Cannes heuer aber dennoch beeindruckt, einer unter zwanzig aus tausend zu sein.

Die Themen der ersten beiden "Paradies"-Filme - Glaube und Liebe - sind dabei längst nichts Neues im Oeuvre des Wiener Filmemachers: Starr steht in "Jesus du weißt" die Kamera den Menschen gegenüber, mit ihren Bedürfnissen, ihrer Verzweiflung, ihren Gebeten. In "Die letzten Männer" kommt die Liebe aus dem Katalog, die Ware Mensch. Und in "Tierische Liebe", 1995 ein Skandal, entwirft Seidl ein Panoptikum menschlicher Abgründe, in dem Haustiere zum Ersatz für menschliche Nähe werden.

Dabei blickt Seidl immer auch auf die Geschichten hinter den offensichtlichen Abgründen. An der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion, inszeniert er die Wirklichkeit für die Kamera, den Blick auf das gerichtet, was sonst gerne verdrängt wird. Seidl ist radikal in seiner Offenheit - eine Offenheit, die bisweilen überfordert und ihm den Ruf des Sozialpornografen einbringt, den Ruf des Provokateurs, des Menschenhassers.

"Das Irritierende liegt im Normalen. Die Gewalt, die ich zeige, kann überall passieren!", so Seidl 2001 in Venedig über seinen Film "Hundstage", sein erster reiner Spielfilm. Der Mikrokosmos Reihenhaussiedlung als Spielort stiller Gewalt und Aggression. Explizit in der Darstellung, trist, und in seiner Tristesse schon wieder durchzogen mit dunkelstem Humor.

"Hundstage" war ein Wendepunkt in Seidls Karriere. Der große Preis der Jury am Lido, der internationale Durchbruch. 2007 wurde "Import / Export" in Cannes präsentiert, ein Film über die Ware Mensch, vom Onlinesex in die Geriatrie und wieder zurück. Wieder radikal fordernd, war dann aber plötzlich vom Humanisten Seidl die Rede. Vom Kult- und Starregisseur. Gefeiert, mit Spannung erwartet, Kontroversen garantiert.

Ulrich Seidls Film "Paradies: Glaube" hat am Freitag in Venedig Premiere.

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Ulrich Seidl