Aufzeichnungen des Eichmann-Verhörers

Lüge, alles Lüge!

Adolf Eichmann – der Name hat ja mittlerweile eine geradezu metaphorische Kraft. Der Prozess gegen ihn öffnete gewissermaßen die Schleusen für eine intensive Beschäftigung mit der Shoa. Doch hinter diesem Prozess standen auch Menschen und denen ging es gar nicht so gut mit ihrer Rolle als Richter, Bewacher oder Vernehmer des Mörders ihrer Angehörigen.

3.564 Seiten Verhör

275 Stunden verbrachte der israelische Polizeioffizier Avner Werner Less, Sohn eines ermordeten Juden, mit Adolf Eichmann, dem Organisator des Holocaust. 3.564 Seiten umfasst die penibel von Eichmann abgezeichnete Niederschrift des Verhörs zur Vorbereitung des Prozesses, das zwischen dem 29. Mai 1960 und dem 15. Jänner 1961 geführt wurde.

Das Verfahren endete mit dem Todesurteil, doch Eichmann hatte einen fairen Prozess in bester angelsächsischer Rechtstradition. Ein Team von 50 Männern und Frauen arbeitete sich buchstäblich durch einen Berg von Dokumenten und Less konfrontierte Eichmann mit den künftigen Beweisen und befragte ihn dazu.

Spezialist für Wirtschaftskriminalität

Dieser 1916 in Berlin geborene Werner Less war ohne Zweifel ein interessanter Mann. Seit Generationen war man es in seiner Familie gewohnt, ein "guter Jude" und ein "guter Deutscher" zu sein. Mit dem Sieg der Nationalsozialisten hatte man nicht gerechnet. Der Vater war zwar so hellsichtig, seinen Sohn 1933 nach Paris zu senden, doch weniger hellsichtig bei der Rettung des eigenen Lebens.

Avner Less emigrierte nach Israel, avancierte zum Spezialisten für Wirtschaftskriminalität und war einer der erfahrensten Verhöroffiziere des Landes. Und so wurde er zwischen Festnahme und Prozessbeginn die einzige Bezugsperson des Kriegsverbrechers, den man isoliert hatte, weil man seinen Selbstmord befürchtete:

Das Urteil hat Less nicht mehr in Israel, dessen Klima seiner kranken Frau nicht zuträglich war, erlebt; bis zu seinem Lebensende 1987 lebte er als Diplomat und Bankenfachmann in Frankreich, der Schweiz und Deutschland, dessen Staatsbürgerschaft er 1968 wieder erhielt. Das Thema Eichmann hat ihn allerdings nicht losgelassen, seine Bemühungen das große Eichmann-Buch zu schreiben, scheiterten, was nicht nur an ihm, sondern vor allem am Desinteresse deutscher Verlage lag.

Dokument einer jüdischen Existenz

Und da kommt jetzt Bettina Stangneth ins Spiel, eine Philosophin und Historikerin, mit dem Spezialgebiet der Lügenforschung, die einmal eine Debatte darüber losgetreten hat, was Immanuel Kant so meinte, wenn er von "race" – Rasse - sprach und die eine exzellent recherchierte Darstellung von Eichmanns Jahren "vor Jerusalem" verfasst hat.

Im Zug ihrer Forschungen hat sie den Nachlass Lessens entdeckt, das Vertrauen seiner Familie und seiner überlebenden Freunde gewonnen und jetzt sozusagen das "Lebensbuch" des Werner Less und seiner Gattin Vera verfasst. Zu diesem Dokument einer jüdischen Existenz wäre einiges zu sagen, doch Eichmann steht zwingend zentral.

In seinem Theaterstück "Bruder Eichmann" hat Heinar Kipphardt das Verhör mit Less als Duell der beiden Protagonisten dramatisiert; Less hat sich darüber beschwert, doch die Sache hat eine Richtigkeit. Allerdings: auch Eichmann war das nicht bewusst. Im Grunde war er auf den Prozess besser vorbereitet, als seine Strafverfolger, und er sah eine realistische Chance, wieder einmal davonzukommen.

Dazu war es notwendig, das in den Dokumenten und zu erwartenden Aussagen präsente Bild vom Herrenmenschen mit der Peitsche zu tilgen. Und so entwickelte der begabte Schauspieler eine erfolgsversprechende Verteidigungsstrategie: alles abstreiten und - so man ihm etwas nachwies - den dümmlichen, subalternen, hackenschlagenden Befehlsempfänger zu spielen. Dazu musste er allerdings kooperieren und damit ging er Less, der den "guten Cop" gab, in die Falle. Eichmann meinte, dass es ihm gelungen sei, den freundlichen, aber ansonsten völlig abstinenten Polizisten auf seine Seite zu ziehen, doch tatsächlich bestätigte er mit seiner Suada die Echtheit von Dokumenten, von denen man befürchtet hatte, dass die Verteidigung sie bestreiten würde. Sein netter Verhöroffizier hatte ihn schon früh durchschaut: als intelligenten, geltungssüchtigen, gefühlskalten und opportunistischen Fanatiker.

Konfrontation mit Hannah Arendt

Eichmann hat auch im Strafverfahren seine Taktik verfolgt, den ein wenig lächerlichen Hampelmann ohne eigenen Willen zu spielen. Die Richter blieben davon unbeeindruckt, doch die Zahl der Getäuschten ist Legion und die prominenteste ist die kluge Hannah Arendt mit ihrem erfolgreichen Bericht über die "Banalität des Bösen".

Für Less war das eine große Herausforderung - und gleichzeitig war der Erfolg dieses Buches für ihn eine Lebensenttäuschung. Arendts Prozessbericht wurde viel kritisiert, Lessens Gegenargumentation überzeugt und enthält neue Aspekte: Hannah Arendt, so sein Vorwurf, hätte die im Prozess präsentierten Dokumente ignoriert und aus dem Eichmann, den sie in seinem Glaskäfig beflissen agieren sah, gewissermaßen eine satirische literarische Figur auf Kosten der autoritär sozialisierten, bildungsfernen Schichten Deutschlands gemacht. Vor allem aber: das Etikett "banal" las Less als Formel zur kollektiven Entlastung der "gebildeten" Deutschen.

Service

Avner Werner Less, Bettina Stangneth, "Lüge, alles Lüge! Aufzeichnungen des Eichmann-Verhörers", Arche Verlag

http://www.arche-verlag.com/index.php?id=92&tx_fsvsgbooks_pi1[titel=L%FCge%21%20Alles%20L%FCge%21&tx_fsvsgbooks_pi1isbn=3-7160-2689-1&tx_fsvsgbooks_pi1link=detail&cHash=ccfa28ced8|Arche Verlag] - Lüge, alles Lüge!