Sozialversicherung für Menschen mit Behinderung

Behindertenorganisationen kritisieren: Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen, die arbeiten, bekommen in Österreich keinen Lohn und sind nicht sozialversichert. Sie verlieren dadurch auch den Anspruch auf eine eigene Pension - ähnlich wie Heimkinder in den vergangenen Jahrzehnten. Chancen auf Änderung sind gering.

Seit Jahren wird über eine Änderung der Gesetze nachgedacht, weil sie der UNO-Behindertenrechtskonvention widersprechen. Es gibt auch eine Arbeitsgruppe, die an Änderungen arbeitet. Bisher aber ohne konkretes Ergebnis - vor allem weil höhere Kosten befürchtet werden.

Mittagsjournal, 30.8.2012

"Taschengeld, wie es Kinder bekommen"

Rund 20.000 Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen bekommen in Österreich nur ein Taschengeld und keinen Lohn. Es sind vor allem jene, die in Behindertenwerkstätten und "Beschäftigungstherapie" arbeiten, sagt Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter: "Wer unter 50 Prozent erwerbstätig ist, kommt in der Regel in eine Werkstätte und hat dort eine Tagesstruktur und erhält dort ein Taschengeld, wie es eigentlich nur Kinder bekommen." Durchschnittlich 65 Euro beträgt das monatliche Taschengeld laut Lebenshilfe, der größten Betreuungsorganisation in diesem Bereich. Der Generalsekretär erklärt, Menschen mit Beeinträchtigung erlebten es als unglaubliche Diskriminierung – sie arbeiteten zwar, erhielten aber entsprechendes Einkommen, sondern bloß ein "Taschengeld".

In Österreich nur mitversichert

Der UNO-Behindertenrechtskonvention zufolge sollten Menschen mit Behinderung selbst sozialversichert und in den Arbeitsmarkt integriert werden, abseits von Beschäftigungstherapie. Einzelne europäische Staaten haben die Vorgaben laut Lebenshilfe schon weitgehend umgesetzt. In Österreich hingegen sind die Betroffenen nur mitversichert, kritisiert Brandstätter und konkretisiert, dass sie über ihre Eltern sozialversichert seien. Daraus folge, dass sie im Alter auch keine Pension aufgrund ihres Erwerbseinkommens sondern eine Waisenpension bekämen.

Arbeitsgruppe prüft

Die österreichische Bundesregierung hat im Juli den ursprünglich für 2010 angekündigten Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Behinderung beschlossen. Darin ist eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung vorgesehen. Und es gibt eine vom Sozialministerium koordinierte Arbeitsgruppe. Minister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) weist darauf hin, dass es viele Behinderteneinrichtungen gebe, wo die Menschen ganz normal sozialversichert seien. Aber diese Arbeitsgruppe werde einen Bericht erstellen, ob es eine Möglichkeit gebe, für Menschen mit einem gewissen Behinderungsgrad eine eigenständige Versicherung zu entwickeln. So sollen sie nicht später in der Sozialhilfe hängen bleiben.

Schwierige Finanzierung

Freilich stellen sich komplexe Fragen: Wie bemisst man den Lohn einer Person, deren Arbeitskraft eingeschränkt ist? Muss die Person dann einen Teil des Lohns abliefern für Betreuung oder Unterbringung? Und wer übernimmt etwaige Mehrkosten durch eine Neuregelung? Lebenshilfe-Generalsekretär Brandstätter sieht die Gespräche in einer Sackgasse, weil die Länder mehr Geld aufwenden müssten und diese im Moment nicht zahlen wollten. Dass die Kostenaufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden eine wesentliche Frage sei, und man insgesamt noch nicht weit sei, bestätigt ein Sprecher des Tiroler Soziallandesrats Gerhard Reheis. Letztlich, da sind sich alle einig, geht es um eine Änderung des Gesamtsystems: Auch aus Sicht der Lebenshilfe geht es nicht primär um mehr Geld für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen, sondern um mehr Selbstbestimmung und sinnvolle Arbeitstätigkeiten und eine geeignete finanzielle Anerkennung dafür.