Ulrich Seidls "Paradies: Glaube" in Venedig
Donnerstagabend hatte der neue Film von Ulrich Seidl im Wettbewerb bei den Filmfestspielen in Venedig seine Vorpremiere für die Journalisten. "Paradies: Glaube" ist der zweite Teil der sogenannten "Paradies"-Trilogie, in dem Schauspielerin Maria Hofstätter eine fanatische Katholikin verkörpert. Seidl hatte sich Applaus erhofft, aber nicht nur.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 31.8.2012
Ein Ulrich Seidl-Film zum Lachen? Auf ersten Blick scheint das nicht zu passen, doch das internationale Pressepublikum am Lido war bei einer ersten Vorführung anderer Meinung. Es wurde geradezu herzhaft gelacht. Der Grund: die vielen schrulligen Eigenheiten, mit denen eine Wienerin mittleren Alters ihren geradezu fanatischen Glauben und ihre unerschütterliche Liebe zu Jesus zelebriert.
Es folgt eine Selbstgeißelung, gebetet wird auf Knien durch das Eigenheim rutschend, sorgfältig wird das Weihwasser nachgefüllt, "Radio Maria" gehört zur Grundausstattung dieses Lebens genauso wie das hartnäckige Missionieren mit einer Wandermuttergottes.
Vermeintliches Paradies
Als der Ehemann - ein Moslem und nach einem Unfall im Rollstuhl - nach Hause zurückkehrt, folgt die wirkliche Prüfung, ein Ehekrieg voller Schikanen und gegenseitiger Gemeinheiten, Nächstenliebe und Barmherzigkeit? Fehlanzeige! Wie schon in seinem letzten Film "Paradies: Liebe" entkleidet Ulrich Seidl die wahren Antriebskräfte seiner weiblichen Hauptfigur, legt ihre Widersprüche frei, lässt sie daran leiden, verweigert die Erlösung.
Spätestens dann ist es mit der Heiterkeit vorbei. "Sex mit einem Kruxifix, Skandalfilm in Venedig" titelt heute die italienische Tageszeitung "la repubblica", ähnlich der "Corriere della Sera".
Doch jenseits medialer Verkürzung setzt Ulrich Seidl mit "Paradies: Glaube" sein Langzeitprojekt fort: Menschlichkeit zu relativieren, einem als positiv besetzten Begriff ein genauso berechtigtes, aber nur ungern akzeptiertes Gegengewicht zu geben, denn das vermeintliche Paradies auf Erden ist eben nur allzu oft die schiere, von Menschen selbst gemachte Hölle.