Bildungsexperte Andreas Salcher zum Schulbeginn

Im Studio spricht Bildungsexperte Andreas Salcher von der "tödlichen" und der "lebendigen" Schule. Auch wenn er sich eine grundlegende Bildungsreform wünsche, sei er momentan pessimistisch. Salcher betont, wie wichtig es sei zu wissen, dass Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam entscheiden können, wie sie miteinander umgingen.

Morgenjournal, 3.9.2012

Bildungsexperte Andreas Salcher im Gespräch mit Wolfgang Wittman

Zwei Arten von Schulen

Bildungsexperte Andreas Salcher sieht zwei Arten von Schule in Österreich: Auf der einen Seite gebe es die "tödliche Schule", die wie ein Virus über Generationen weitergegeben werde, so lange bis man sich eine bessere Schule nicht mehr vorstellen könne. Diese Schule mache die Kinder krank: Es gebe Dunkelziffern darüber, wie viele Kinder im Volksschulalter Psychopharmaka nehmen müssen. Auch die hohen Frühpensionierungs- und Burnout-Raten von Lehrern bestätigten dieses Bild, so Salcher. Auf der anderen Seite gebe es die "lebendige Schule": Das sei die Schule, auf die sich die Kinder heute freuen würden, ihre Lehrer und Kollegen wiederzusehen, weil sie wüssten, dass sie gemeinsam jeden Tag ein bisschen klüger würden und jeden Tag lernen könnten, die Welt neu zu entdecken. Salcher ist es wichtig gerade heute am ersten Schultag klarzustellen: "Lehrer, Schüler und Eltern haben eine Wahlmöglichkeit, wie sie miteinander umgehen." Es sei ihre Entscheidung, ob in der ersten Woche nur die Bürokratie erledigt werde oder ob man Wertschätzung aufbaue und gemeinsam Spielregeln vereinbare.

Harte Abrechnung mit Lehrergewerkschaft und Politikern

Nie mehr tödliche Schule sei das Ziel, sagt der Bildungsexperte. Der größte Skandal sei, dass, obwohl die Prinzipien für eine lebendige Schule bekannt seien, zu viele Kinder in eine schlechte Schule gehen müssten. Immer wieder höre Salcher von Eltern, dass sie am Nachmittag das lernen müssten, was die Kinder am Vormittag nicht verstanden hätten. Salcher meint: "Unsere Schulen sind in Wirklichkeit Fernlerninstitute mit einer Anwesenheitspflicht für die Kinder am Vormittag und einer Nachlernpflicht für die Mütter am Nachmittag. Das kann es nicht sein." Man müsse akzeptieren, dass Kinder einen Körper hätten. Da gehe es nicht um die tägliche Turnstunde, sondern allgemein darum, den Bewegungsdrang und die Bewegungsfreude der Kinder zu akzeptieren. Dann würden sie auch besser lernen und lieber zu schule gehen.

Gründe für eine Veränderung

Die Hoffnung in die Politik auf eine grundlegende Schulreform habe Salcher verloren. Zwei Punkte sieht er besonders kritisch: Jedes System, wo die Grundbedürfnisse der Menschen täglich nicht erfüllt würden, wie im Kommunismus, bräche irgendwann zusammen. Noch wichtiger sei der technologische Fortschritt für Salcher. Er glaubt nicht, dass Lehrer in 20 Jahren noch mit Kreide an die Tafel schreiben würden, mit dem Rücken zu den Kindern stehend. Er kritisiert, dass in einer Institution, in der das Lernen die Hauptaufgabe sei, von den 125.00 Lehrern keiner verpflichtet sei, sich ständig fortzubilden. Er verstehe auch nicht, warum mehr Lehrer weniger Schüler betreuten, und trotzdem die Eltern mehr Nachhilfe leisten müssten. Der Veränderungsdruck werde so stark werden, dass es zu einer grundlegenden Reform kommen werde.

Tipp zum Schulbeginn

Eltern sollen Kindern mitgeben, dass der Schulanfang der Beginn der Freude des Lebens sei. Entscheidend in der Volksschule ist für Salcher, dass die Volksschullehrer eine gute Beziehung zu den Kindern hätten. Eines sei besonders wichtig: Wenn die Eltern sehr früh darauf kommen sollten, dass das Kind nicht gern in die Volksschule gehe, dann sollte man die Konsequenz ziehen und die Schule wechseln, bevor dem Kind die Freude am Lernen für immer genommen werde.