Filmfestspiele Venedig: Europa und Fernost

Nach den zwei US-amerikanischen Wettbewerbsbeiträgen von Terence Malick und Paul Thomas Anderson ist es in den vergangenen Tagen bei den Filmfestspielen von Venedig etwas ruhiger zugegangen. Filme aus Frankreich, Portugal und Fernost waren zu sehen, auch diese haben ihre Stars und ihre Fans.

Mittagsjournal, 5.9.2012

Der japanische Regisseur Takeshi Kitano ist am Lido ein alter Bekannter, seitdem er vor 15 Jahren hier den Goldenen Löwen gewonnen hat. Auch heuer ist er wieder im Wettbewerb vertreten mit einem Streifen über sein wohl liebstes Thema: den Kampf gegen das organisierte Verbrechen in seiner Heimat.

Kim Ki Duk über eine Mutter-Sohn-Beziehung

Auch sein koreanischer Kollege Kim Ki Duk hat in Venedig schon einmal gewonnen, 2004, allerdings nur den silbernen Löwen für die beste Regie. Nun tritt er nach längerer Schaffenspause mit dem Film "Pietà" an. Inspirierend dafür war die gleichnamige Skulptur von Michelangelo in Rom. Denn es geht um das Thema Mutterliebe in einem sehr extremen Sinn. Auch Kim Ki Duk erzählt vom organisierten Verbrechen, von einem jungen Geldeintreiber, der verarmte Handwerker verstümmelt und massakriert, um an das Versicherungsgeld zu kommen. Als seine Mutter auftaucht, die ihn als Baby ausgesetzt und verlassen hat, kommt sein System der Kälte und Grausamkeit ins Wanken.

Der Film bekam bei seiner Pressepremiere trotz der an die Grenzen gehenden Szenen von Inzest, Masturbation und Gewalt viel Applaus bei der Presse-Premiere. Und Kim Ki Duk erklärte später in der Pressekonferenz, ihm gehe es vor allem darum zu zeigen, wie der extreme Kapitalismus in seiner Heimat die Beziehungen zwischen den Menschen in sehr negativer Hinsicht beeinflusse und zerstöre.

Geschichtsaufarbeitung aus Portugal und Frankreich

Die europäischen Filme hingegen beschäftigten sich am Lido in den letzten Tagen eher mit Geschichtsaufarbeitung. Die Frau des verstorbenen Regisseur Raul Ruiz, Valeria Sarmiento, hat dessen letztes Projekt zu Ende geführt. Mit dem portugiesischen Produzenten Paulo Branco wollte er den Kampf der mit den Engländern alliierten Portugiesen um ihre Heimat und gegen die napoleonischen Heerscharen schildern. Mit von der Partie ist auch John Malkovich als General Wellington, der schon in Ruiz Klimt-Film die Hauptrolle spielte,und jetzt als Wellington die Gemälde seines Schlachtenmalers zurückweist. Ein fast dreistündiges Epos, das trotz Starbesetzung kaum überzeugen kann.

Da ist die Geschichtsaufarbeitung des Franzosen Olivier Assayaz gelungener. In seinem Film "Mai 68" beschäftigt er sich mit der Generation nach der politischen Rebellion und mit seiner eigenen Jugend in den 1970er Jahren, da noch ein revolutionärer Geist vorhanden war, aber die Ziele immer gegensätzlicher wurden. Assayaz Alter Ego im Film findet seine Utopie schließlich im Kino. Der Regisseur sagte in Venedig, für ihn wäre es interessant zu wissen, ob heutige junge Leute diese Epoche veraltet und uninteressant halten, als man Glauben in die Veränderung der Zukunft und der Gesellschaft hatte. Assayaz' "Mai 68" hat jedenfalls ebenso wie Kim Ki Duks "Pietà" durchaus Chancen in Venedig, angesichts eines nicht mit Spitzenleistungen leuchtenden Wettbewerbs.