Gianluigi Nuzzi deckt wieder auf

Seine Heiligkeit

Einen Teil der Geheimnisse des Vatikans hat Gianluigi Nuzzi bereits in seinem Bestseller "Vatikan AG" gelüftet, in dem er Skandale rund um die Vatikanbank aufdeckte. Jetzt, in seinem neuen Buch, legt er kräftig nach und veröffentlicht Dokumente, die ihm aus dem Vorzimmer des Papstes zugespielt wurden.

Die Kriege innerhalb des Vatikans

Es geht um Intrigen, Machtspiele und um viel Geld. Was sich nach Stoff für einen Kriminalroman anhört, ist höchst real, der Ort der Handlung kein geringerer als das Herz der katholischen Kirche. Gianluigi Nuzzi, investigativ arbeitender Journalist aus Mailand, hat in seinem Buch "Seine Heiligkeit" Dokumente zusammengetragen, die im Kirchenstaat für einigen Sprengstoff sorgten.

"Dieses Buch berichtet von den Kriegen innerhalb des Vatikans", so Gianluigi Nuzzi im Gespräch, "von Verschwörungen, die dem Heiligen Vater zugetragen wurden. Es bietet erstmals Gelegenheit, die kritischen Fragen kennenzulernen, mit denen Benedikt XVI. seit seiner Ernennung zum Papst konfrontiert ist. Die Kraft dieses Buches besteht darin, dass diese kritischen Punkte anhand zahlreicher Dokumente enthüllt werden, die der Papst selbst geschrieben, gesehen oder gelesen hat."

Nicht nur, dass die Schriftstücke den Vatikan als üblen Intrigantenstadl darstellen, sie zeichnen vor allem das Bild einer in die Krise geratenen Kirche. Aber es geht auch um Diebstahl und Geheimnisverrat, denn die vertraulichen Dokumente kamen direkt vom Schreibtisch Benedikt XVI., wurden ohne sein Wissen kopiert und an die Öffentlichkeit getragen.

Persönliche Korrespondenz des Papstes

Als das Buch im Mai dieses Jahres unter dem Originaltitel "Sua Sanitá" in Italien erschien, stand es wochenlang im Zentrum einer Affäre, für die der Sprecher des Papstes höchstpersönlich den Begriff Vatileaks prägte, frei nach der Enthüllungsplattform Wikileaks. Die Veröffentlichung der brisanten Dokumente nannte der Vatikan einen "kriminellen Akt" und kündigte an, gegen Gianluigi Nuzzi gerichtlich vorzugehen. Aber der Autor sieht sich im Recht. Er habe nur seine journalistische Pflicht erfüllt:

"Ich finde, dass die Reaktion seitens des Vatikans unerwartet und überzogen war. Auch weil ich nur meine Arbeit als Journalist getan habe. Hier hatte ich es mit Papieren zu internen Vorgängen im Vatikan zu tun, von denen ich mir nie vorgestellt hätte, dass ich sie je zu Gesicht bekommen würde. Wann bekommt man schon Gelegenheit, Dokumente zu lesen, die über die Probleme informieren, mit denen ein lebender Papst konfrontiert ist?"

Bei den Unterlagen, die im Buch zitiert und im Anhang als Fotokopien abgedruckt sind, handelt es sich zum Großteil um persönliche Korrespondenz und handschriftliche Gesprächsnotizen Benedikts XVI., die nur für die Augen des Papstes und seiner engsten Mitarbeiter bestimmt waren. Deswegen war schnell klar, dass die Quelle in den Papstgemächern selbst zu suchen ist. Wer seine Informanten waren, wollte Gianluigi Nuzzi nicht verraten. Nur so viel: es seien Männer der Kirche gewesen, die unter der Scheinheiligkeit im Vatikan gelitten und sich deshalb zur Offenlegung der Vorgänge entschieden hätten.

Korruption und Amtsmissbrauch

Und so erfahren die Leser von Seilschaften innerhalb des Kirchenstaats, die gegen den Papst intrigieren, von der Blindheit gegenüber sexuellem Missbrauch, vom politischen Machtstreben der hohen Geistlichkeit - und von unsauberen Finanz-Praktiken, die auch vor den Mauern des Vatikans nicht Halt machen.

Da ist zum Beispiel der zu Herzen gehende Hilferuf des Carlo Maria Viganò, eines hohen Geistlichen aus der Verwaltung des Vatikanstaats, der in einem persönlichen Brief an den Papst über Korruption und Amtsmissbrauch in den eigenen Reihen berichtet. Zum Dank wird er von seinem Posten weggelobt, wird apostolischer Nuntius in den USA – ein Posten, den er selbst als Degradierung erlebt, wie wir aus einem weiteren Brief erfahren.

Die meisten der veröffentlichten Dokumente bieten aber nicht mehr als einen banalen Einblick in den päpstlichen Alltag. Im Vatikan war man dennoch alarmiert.

Informant verhaftet

Schon kurz nachdem das Buch in Italien in den Handel kam, flog einer der Informanten auf: Paolo Gabriele, Kammerdiener und engster Mitarbeiter des Papstes. Zwei Monate saß er in Isolationshaft, jetzt wartet er auf sein Gerichtsverfahren. Nach vatikanischem Recht drohen dem 46-jährigen Familienvater bis zu 30 Jahre Haft. Zu Unrecht, findet Gianluigi Nuzzi:

"Sich vorzustellen, dass jemand verhaftet wird, nur weil er Dokumente weitergibt! Ich glaube, dass der Vatikan noch nie jemanden verhaftet hat. Dass es nicht wirklich notwendig war, jemanden zu verhaften, der ein gläubiger Katholik ist und den Papst als seinen Hirten anerkennt. War es wirklich notwendig, ihn ins Gefängnis zu stecken? Aber das letzte Mal, als ich Paolo Gabriele gesehen habe, war er sehr gelassen und wusste um das Risiko Bescheid, auf das er sich einlässt. Und er konnte sich auf seinen Glauben stützten – und auf seine Überzeugung, dass diese Dinge erzählt werden müssen."

Keine moralische Wertung

Schon vor drei Jahren hat der Autor in Rom für Wirbel gesorgt: Damals erschien sein Buch "Vatikan AG", in dem Nuzzi über die unsauberen Finanzoperationen der kircheneigenen Vatikanbank berichtete.

Wie schon in "Vatikan AG" enthält sich der Autor in seinem neuen Enthüllungsbuch "Seine Heiligkeit. Die geheimen Dokumente aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI." einer moralischen Wertung. Er sei eben nur der Chronist und ziehe keine Schlüsse, betont Nuzzi. Schlüsse zu ziehen überlasse er seinen Lesern.

Etwas beliebig wirkt die Auswahl der im Buch veröffentlichten Dokumente. "Seine Heiligkeit" ist ein Sammelsurium an Puzzlestücken und wer sich nicht auskennt auf dem vatikanischen Parkett, wird dieses Puzzle nur schwer zu einem Bild zusammenfügen können.

Service

Gianluigi Nuzzi, "Seine Heiligkeit. Die geheimen Dokumente aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI.", aus dem Italienischen übersetzt von Enrico Heinemann, Walter Koegler, Christiane Landgrebe, Antje Peter und Rita Seuß, Piper Verlag

Piper - Seine Heiligkeit