Ein Familienroman von Bernhard Moshammer

Die Zukunft wird kein Honiglecken

Dass die Familie "kein heiliges Refugium", sondern eine willkürliche Ansammlung unterschiedlichster Charaktere ist, davon handelt der dritte Roman des in Wien lebenden Schriftstellers Bernhard Moshammer.

Affären und Sinnfindung

"Die ersten Jahre, wenn die Kinder klein sind, wird die Familie oder die Einheit überhaupt nicht in Frage gestellt, das ist dann so die natürliche Einheit", meint der Autor, "und je größer die Kinder werden, je mehr die Kinder von einem wegrücken, desto größer werden auch wieder die Egos der Eltern und umso schwieriger kann dann das "Projekt Familie" werden. Und es ist reizvoll gewesen über ein paar Menschen zu schreiben, die von der Natur aus zusammengehören und doch funktioniert es nicht."

In "Die Zukunft wird kein Honiglecken" schildert Moshammer humorvoll das Auseinanderbrechen einer "ganz normalen Familie": Der Vater, Dramaturg am Wiener Burgtheater, offenbart seiner Frau eine Affäre mit seiner Assistentin und der gemeinsame halbwüchsige Sohn befindet sich gerade in einer Sinnfindungsphase. Der ganz alltägliche Familienwahnsinn ist ein Thema, mit dem sich der Autor bestens auskennt. Schließlich ist er selbst verheiratet und hat zwei Kinder. Sein eigener Sohn ist 18, der Sohn im Buch 16 oder 17 Jahre alt: "Da weiß ich dann schon, wovon ich schreibe, das Thema ist mir sehr geläufig. Also es ist so, in der Realität oder im Alltag herrscht so viel Chaos manchmal und man will dann irgendwas geraderücken oder richtigstellen und das ist halt ein Versuch das im Schreiben zu probieren."

Wenn Kontinente auseinander driften

Für eine Familie, deren Mitglieder sich immer weiter voneinander entfernen, hat der Autor in der Kontinentaldrift eine geeignete Analogie gefunden: Im Prolog des Romans beschreibt er, wie zwei Großkontinente den Superkontinent Pangäa bildeten und wieder auseinanderbrachen: "100 Millionen Jahre Ehe waren genug - viel hatten die beiden einander ja nie zu bieten gehabt -, die Trennung war unvermeidlich", sagt der Autor, "der Scheidungstermin wurde auf einen Zeitpunkt anberaumt, zu welchem die Polkappen immer noch nicht vereist waren und die Säugetiere nicht größer als Ratten werden sollten. Nach und nach brach Pangäa auseinander."

Erdgeschichte und Evolution spielen in Moshammers Roman durchgehend eine übergeordnete Rolle und geben dem Autor die Möglichkeit, existentielle Betrachtungen anzustellen, die weit über die Probleme einer Kleinfamilie hinausgehen: "Wenn man eine Krise in einer Familie festmacht, sagt man gleichzeitig auch etwas aus über eine große Krise oder über eine Weltkrise", ist er überzeugt. Denn die Welt habe sich noch nie in einem anderen Zustand befunden als im Zustand der Krise. Die Welt sei noch nie fertig oder gut gewesen: "Es ist immer alles in der Entwicklung und das fand ich sehr interessant mit diesen erdgeschichtlichen Themen. Weil wenn du dir ansiehst, was alles schon passiert ist, also was die Erde schon alles durchgemacht hat für Phasen und dann sagen die Wissenschaftler: 'Ja, aber es kommt auch die nächste Eiszeit.' Aber was heißt das? Das heißt, das minimiert auch so Problemchen, die wir haben gleich wieder, wenn man sich die großen Dinge ansieht."

Die Kompliziertheit der Gefühlswelt

Es sind jene "großen Dinge" - die Bedeutungslosigkeit des Individuums im Angesicht der mächtigen Natur -, die den Sohn Anselm auf seiner Sinnsuche beschäftigen. Der "Horror des Gegenwart" macht es ihm dabei nicht unbedingt leichter, sich selbst durch eine scheinbar verrückt gewordene Welt zu manövrieren:

Für Anselms Eltern jedoch sind diese Probleme nichts gegen die Kompliziertheit ihrer eigenen Gefühlswelt. Aus den unterschiedlichen Perspektiven wird mit größtmöglicher Authentizität geschildert, wie Mann und Frau ihr persönliches Empfinden zelebrieren: Während die betrogene Ehefrau sich bei ihren Eltern verkriecht und verstummt, pendelt der Gatte gefühlsmäßig zwischen Euphorie und Schuldgefühlen:

Flucht auf die Insel

Als dem Vater auch noch die Überbleibsel seines Lebens entgleiten und seine Krise ihrem Höhepunkt entgegensteuert, flüchtet er sich auf die Insel Sylt und wird vorübergehend zum Weltverweigerer. Er hat genug vom Theater, sinniert über die Bedeutung der Kunst und den Begriff der Gesellschaft, mit dem er nicht viel anfangen kann. Die Figuren des Buches scheinen keineswegs an soziologischen Gesetzesmäßigkeiten zu scheitern, eher stehen sie sich selbst im Weg, sagt Bernhard Moshammer: "Für mich ist Gesellschaft eigentlich ein haltloser Begriff. In dem Buch fragt auch einer: 'Wer ist eigentlich die Gesellschaft oder wie kann man dieses Wort eigentlich noch verwenden?' Weil die meisten Menschen verwenden die Gesellschaft als Sündenbock. Ich fang damit wenig an. Ich denke auch nicht, dass die Kunst eine Aufgabe in der Gesellschaft hat. So wie ich die Gesellschaft im Buch auf die Familie niederbreche, so muss ich auch die Kunst auf den Künstler niederbrechen. Und das ist so subjektiv was einer tut und warum er was tut, da kann man Philosophien draus machen und die Welt damit erklären, aber in Wahrheit sind das meiner Meinung nach immer persönliche Geschichten."

Durch die persönlichen Geschichten seiner Protagonisten, den flüssigen Dialogen und der unbeschwerten Erzählweise mit teils experimentellem Einschlag ist Bernhard Moshammer ein intelligenter und unterhaltsamer Roman gelungen. Die großen Fragen des Lebens müssen am Ende des Buches naturgemäß unbeantwortet bleiben. Nur eines scheint sicher: Die Zukunft wird kein Honiglecken - aber das war sie ja auch noch nie.