Georgien - ein zersplitterter Staat

Die Parlamentswahlen in Georgien finden auf einem Fünftel des offiziellen Staatsgebiets nicht statt, nämlich in Abchasien und in Südossetien, die sich unabhängig erklärt haben. Bis jetzt sind Abchasien und Südossetien nur von fünf Staaten, allen voran von Russland, anerkannt. Der Westen verlangt die Wiedereingliederung in Georgien - für die Abchasen unannehmbar.

Mittagsjournal, 29.9.2012

Vermeintliche Unabhängigkeit

"Wir haben per Referendum schon in den 90er-Jahren unsere Unabhängigkeit von Georgien beschlossen, dieser Schritt ist nicht so einfach rückgängig zu machen", sagt Natella Akaba von der Association of Women in Abchasia, einer unabhängigen Frauen-NGO. Sie kenne kein Volk, das je seine Unabhängigkeit freiwillig wieder aufgegeben hätte.

Doch ganz so unabhängig, wie die Abchasier ihr Land gerne sehen wollen, ist es nicht. Denn ohne den großen Bruder Russßland wäre Abchasien, das flächenmäßig etwa so groß wie Kärnten ist, derzeit nicht überlebensfähig. "Russland schützt uns militärisch und gibt Finanzhilfe, zahlt Pensionen aus und baut die Infrastruktur, die im Krieg zerstört wurde, wieder auf. Ähnlich wie beim Marshallplan in Europa", meint Natella Akeba.

Doch der Vergleich hinkt: Denn ohne Russland geht in Abchasien gar nichts. Die meisten Abchasen haben einen russischen Pass, der russische Rubel ist offizielle Währung, russisch ist zweite offizielle Landessprache.

"Westen treibt uns in Arme Russlands"

Natella Akeba sieht auch die Kehrseite einer solch engen Bindung: "Politisch hat es bisher noch keine Interessenkonflikte mit Russland gegeben, sehr wohl aber mit dem russischen Business. Abchasien mit seiner Schwarzmeerküste, der idyllischen Bergwelt und der unverbrauchten Natur ist sehr interessant für Russen. Einige wenige Oligarchen könnten de facto unser Land aufkaufen. Um das zu verhindern, haben wir ein Gesetz erlassen, das den Kauf und Verkauf von Land gleich überhaupt verbietet."

Ihrer Meinung nach liegt es aber auch am Westen, wohin sich Abchasien entwickelt, sagt Natella Akeba: "Solange der Westen ständig darauf pocht, dass wir in den Bestand Georgiens zurückkehren müssen, treibt es uns ja regelrecht weiter in die Arme Russlands. Solange Moskau unser einziger Unterstützer in der Unabhängigkeit ist, solange müssen wir uns an Moskau halten."

Geringe Erwartung an Parlamentswahl

Zu Georgien, zum nur wenige hundert Kilometer entfernten Tiflis gibt es keine offiziellen Beziehungen, private Reisen sind zwar nicht verboten, werden aber mit großem Misstrauen auf beiden Seiten betrachtet: "Ich sehe keinerlei Berührungspunkte mit der georgischen Führung. Die Regierung in Tiflis verneint ja überhaupt die Existenz eines abchasisch-georgischen Konflikts. Die sagen, es gibt nur einen Konflikt zwischen Georgien und Russland. Das ist ein sehr gefährlicher und unproduktiver Standpunkt. Denn das Ignorieren der Interessen der Abchasen führt nicht zum Guten."

Von den bevorstehenden Parlamentswahlen in Georgien erwartet man sich Abchasien nur wenig. Die georgische Opposition sendet zwar Signale in Richtung Aussöhnung, doch sie persönlich bleibt skeptisch: "Wer weiß, ob es überhaupt zu einem Machtwechsel kommt", sagt Natella Akeba, "und wer weiß, welche Politik die Opposition, einmal an der Macht, dann verfolgt".