Wem gehört der öffentliche Raum?

1908 - Das Pissoir

Leporello führt heute zu einem original Wiener Pavillon-Pissoir aus dem Jahr 1908. Das achteckige Hüttchen mit seinen weiß lackierten Eisenwänden verfügt über fünf Pissstände und befand sich ursprünglich auf dem Sachsenplatz in Wien-Brigittenau.

Peter Payer, Bereichsleiter für Alltag und Umwelt am Wiener Technischen Museum versteht die kleine Bedürfnisanstalt als Symbol einer damals stattfindenden Entwicklung.

Der Bau der Hochquellenwasserleitungen 1873 und 1910 stellte nicht nur die Wasserversorgung Wiens sicher, sondern führte auch zur Errichtung zahlreicher Brause- und Volksbäder in allen Wiener Bezirken. Genauso heftig wie die Hygienefrage, wurden aber auch Sitte und Anstand diskutiert. Öffentliche Toiletten wurden als anstößig empfunden und deren Errichtung innerhalb der Ringstraße lange Zeit durch Anrainerproteste verhindert. Als Kompromiss entschloss man sich zum Bau einer unterirdischen Bedürfnisanstalt am stark frequentierten Stephansplatz. Die Kirche erhob jedoch Einspruch, und so wich man auf den Graben aus. Was die Moralapostel indes noch lange nicht besänftigte.

Bereits zur Jahrhundertwende verlangten Frauenrechtlerinnen die Einführung von Frei-Pissoirs auch für Frauen. Ein Ansinnen, das sich jedoch nicht durchsetzte.

Ein Ort, den Frauen alleine aufsuchen konnten, war etwa das Kino, was auch ein Grund für dessen Erfolgsgeschichte war. Ansonsten galt es aber schon als anstößig, wenn eine Frau alleine auf dem Gehsteig stand.

Immer wieder kam es damals vor, dass sich Frauen wegen Prostitutionsverdachts vor Gericht verantworten mussten. Und auch in der Politik stand die Frau damals noch im Abseits. 1907 waren zwar die ersten allgemeinen Wahlen abgehalten worden, das Wahlrecht galt jedoch nicht für Frauen. Der Führer der Sozialdemokratischen Partei Victor Adler jubelte dennoch über den großen Erfolg der Arbeiterklasse: