Die Erforschung des Unbewussten

Das Zeitalter der Erkenntnis

Das vielschichtige Thema von Eric Kandels neuem Buch ist perfekt im Titel zusammengefasst: "Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute."

Eric Kandels Verhältnis zu Wien ist begreiflicherweise kompliziert. Er und seine Familie hatten Glück gehabt. Gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig reiste er im April 1939 über Brüssel nach New York. Beide Eltern folgten ein halbes Jahr später.

"Das Zeitalter der Erkenntnis" ist also auch eine Auseinandersetzung mit der Heimatstadt seiner Kindheit. Es ist ein unerwartetes Buch, denn üblicherweise befasst sich der Hirnforscher mit Neuronen und Synapsen und damit, was wir von Meeresschnecken über das menschliche Gehirn lernen können.

Eine lange Entstehungsgeschichte

Das mehr als 700 Seiten lange Werk über Kunst, Kultur und Wissenschaft in der Wiener Moderne sowie die neuesten Erkenntnisse der Neuroästhetik entstand über viele Jahre. Eric Kandel erzählt über eine der frühen Wurzeln.

"1984 glaub ich, hab ich ein honorary degree von der Universität Wien, medizinische Schule, bekommen, und ich habe gedacht: von was werde ich reden. Hab ich mir gedacht, ich bin Historiker als Amateur, warum versuchst du nicht ein bisschen zu tun über die Geschichte von Wiener medizinische Schule."

Dabei stieß er auf den Pathologen Carl von Rokitansky. Er stellte die Wiener Medizinische Schule damals auf solide, naturwissenschaftliche Beine. Ein paar Jahre später hielt Eric Kandel einen anderen Vortrag, diesmal in New York.

"Ich hab über mein Hobby geredet, die österreichische Moderne, Klimt, Kokoschka und Schiele und ich habe sie zusammengegeben und als ich das präparierte, habe ich eine Konnektion gesehen zwischen Rokitansky und diesen drei Künstlern."

Die Beziehung zwischen Klimt, Kokoschka, Schiele und Rokitansky war gesellschaftlicher Natur: Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle gaben sich damals ein Stelldichein im berühmten Salon der Berta Zuckerkandl.

Das wissenschaftliche Interesse von Gustav Klimt

"Ich hab auch herausgefunden, dass Berta Zuckerkandl einen Enkel hier in Amerika hat, der auch ein Biologe ist. ich hab ihn angerufen, und er war extremely interested, dass ich ein Buch schreibe. Ich habe ein Kapitel über die Berta Zuckerkandl und ihren Mann Emil Zuckerkandel. Ihr Mann war ein sehr guter Biologe, der mit Rokitansky gearbeitet hat und Klimt ist oft zum Salon von Berta Zuckerkandl gekommen. Klimt hat Emil Zuckerkandel kennen gelernt und von ihm Biologie gelernt."

Wie sehr Gustav Klimt die Wissenschaft beschäftigte, ist an seinen Bildern abzulesen. Eric Kandel schreibt über Klimts berühmtes Portrait von Adele Bloch-Bauer, das Ronald Lauder für die Neue Galerie in New York erstanden hat.

"Ihn faszinierte die Struktur der Zelle – des wichtigsten Bausteins allen Lebens. So sind die kleinen ikonografischen Bilder auf Adeles Kleid nicht einfach dekorativ, wie andere Bilder der Jugendstil-Epoche. Sie sind vielmehr Symbole männlicher und weiblicher Zellen – rechteckiger Spermien und ovoider Eizellen. Diese biologisch inspirierten Fruchtbarkeits-symbole sollen eine Verbindung zwischen dem verführerischen Gesicht des Modells und ihrer voll erblühten Fähigkeit zur Fortpflanzung herstellen."

Ein begeisterter Sammler

Dass Eric Kandel sich ausgerechnet auf Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und Egon Schiele konzentrierte, hat auch persönliche Gründe. Der Professor an der Columbia-University ist nämlich begeisterter Sammler. Sein erstes Bild kauften er und seine Frau Denise 1962. Eine Suite-Vollard-Radierung von Pablo Picasso.

Ehe Eric Kandel sich in seinen jungen Jahren für das Studium der Biologie entschloss, liebäugelte er mit der Psychoanalyse. Was ihn daran jedoch störte: Dass es keine objektiven Methoden gab, um Erfolg oder Misserfolg zu messen. Das ist nun anders. Therapiebedingte Veränderungen im Gehirn lassen sich mit bildgebenden Methoden feststellen. Und genau damit gibt es nun auch die Möglichkeit für Fortschritte in einer ganz jungen Disziplin: der Neuroästhetik. Sie bildet den Schwerpunkt im zweiten Teil von Eric Kandels Buch.

Gehirnvorgänge bei Kunstbetrachtung

Neuroästhetik befasst sich u.a. damit, was im Zuschauer vorgeht, wenn er ein Kunstwerk anschaut bzw. erlebt. Jedes Gehirn ist anders; hat sich durch Erfahrung und Erinnerungen ein bisschen anders entwickelt. Und diese Unterschiede verschaffen jedem bei der Betrachtung ein- und desselben Werks ein bisschen ein anderes Kunsterleben. Eine der Aufgaben der Neuroästhetik ist auch, sozusagen die verschiedenen Schaltkreise der emotionalen Reaktion zu identifizieren.

"Es gibt das so genannte dopaminergische System. Dieses wird beim Erleben von Schönheit aktiviert. Und es ist auch aktiv, wenn man verliebt ist. Dann leuchtet es bei der Bildgebung auf. Wird die Liebe unerwidert, ist es sogar noch aktiver. Ronald Lauder hat also das Portrait von Adele Bloch-Bauer für 135 Millionen Dollar gekauft. Das war damals der Höchstpreis, der jemals für ein Bild bezahlt wurde. Warum? Ich sage es oft im Scherz, aber es ist wahr: Als 14-Jähriger hat er sich in das Bild verliebt. Er fuhr oft nach Wien und hat es sich angesehen. Doch es war nicht zu haben. Und als es endlich auf den Markt kam, war er bereit, jeden Preis zu bezahlen, nur um es zu besitzen."

Gustav Klimts Portrait von Adele Bloch-Bauer im berühmten goldenen Kleid hängt in der Neuen Galerie in New York und ist dort die Hauptattraktion.

Trotz aller Liebe zur Kunst wird Eric Kandel dennoch nicht der Gedächtnisforschung abtrünnig werden und in die Neuroästhetik überwechseln. Doch eines macht er derzeit dennoch mit großem Enthusiasmus und Vergnügen: An der Columbia University ein Doktorratsstudium für Neuroästhetik aufzubauen. Unterrichten werden Künstler, Kunsthistoriker und Neuroforscher.

Service

Eric Kandel, "Das Zeitalter der Erkenntnis. Über die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute", Siedler Verlag

Service

Österreichische Akademie der Wissenschaften - The Age of Insight, Festvortrag von Nobelpreisträger Eric Kandel