ORF-Korrespondenten berichten
Mit eigenen Augen
25 Korrespondent/innen berichten aus 16 Städten der Welt für ORF Radio, Fernsehen und Internet. Roland Adrowitzer, Leiter des ORF-Korrespondentenbüros, hat einen Sammelband zusammengestellt, der die vielfältige Arbeit der Korrespondent/innen zeigt.
8. April 2017, 21:58
Brüssel
Wehende Fahnen der 27 Mitgliedsstaaten, die EU-Flagge oder das Gebäude der EU Kommission sind hinter Cornelia Primosch, Ernst Kernmayer und Raimund Löw oft im Bild, wenn diese aus Brüssel berichten: "EUcalypse now?" fragen sich die Korrespondenten und erzählen vom Charme der Stadt Brüssel, schweigenden Politikern nach EU-Gipfeln, Off-records-Gesprächen und was die Formulierung "in Diplomatenkreisen" bedeutet.
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"So sind die Auftritte des langjährigen Chefs der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, legendär wegen seiner scharfsinnigen Kommentare, seines unorthodoxen Umgangs mit Journalisten und seines beißenden Humors. Von wegen "beißend": Bei einem informellen Eurogruppentreffen hat Jean-Claude Juncker tatsächlich Anstalten gemacht, in das ORF-Mikrofon beißen zu wollen. Auch das ist nicht als tätlicher Angriff, sondern als erfrischend-ungewöhnlicher Umgang mit Journalisten zu verstehen. Denn Juncker hält sich bei seinen Aussagen trotz aller Deutlichkeit meist an Grundregeln der diplomatischen Vorsicht."
Raimund Löw und seine Kollegen beschreiben weiter, wie die EU ihr Gesicht trotz Finanzkrise zu wahren versucht, skizzieren die Macht der Nationalstaaten und die des Deutschen Bundestags.
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"Die Baustelle EU hat mehr Flexibilität und Zähigkeit gezeigt, als viele anfangs vermutet haben. Die Scharniere dieses Mechanismus sind Beamte, Experten, Emissäre, die sich jeden Tag in Brüssel nahe des Rond Point Schuman durch die tatsächlichen Baugruben der Brüsseler Stadtverwaltung abmühen, um zu Treffen und Verhandlungen zu gelangen. Sie kommen direkt vom Internationalen Flughafen im Brüsseler Vorort Zaventem aus den siebenundzwanzig Hauptstädten der Mitgliedsstaaten und eilen zu den Sitzungen einer der zweihundert Arbeitsgruppen, in denen Gesetzestexte, Verordnungen und Richtlinien verhandelt werden."
Berlin
Viele Entscheidungen für Brüssel kommen aus Berlin. "Die Kaiserin von Europa" nennt Berlin Korrespondent Peter Fritz die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Neben der Politik skizziert Fritz auch die Hauptstadt selbst.
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"Schon vor Jahren hat mein Doppelgänger Klaus Wowereit den Spruch "Berlin ist arm, aber sexy" geprägt. Da ist schon was dran. Aber es ist nicht die Armut, die Berlin den Sexappeal verleiht. Es der gekonnte Umgang mit der Armut, der es manchen Leuten hier ermöglicht hat, trotz allem sexy zu wirken. Den angeschlagenen 'Wowi' befördern sie auf diese Weise schon ehrenhalber zum Bohemien."
Berlin als Stadt, in der nie etwas fertig wird, als fruchtbare Stadt, in der die digitale Gesellschaft viele Impulse gibt, sich die Piratenpartei formiert und "Urban-Gardening" aus dem Boden sprießt.
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"Wer Ideen hat, der kann von Berlin aus billig und bequem die Welt erobern. Olafur Eliasson macht es vor, der Objektkünstler aus Island, der hier in einer alten Fabrik einen Kunstbetrieb mit 40 Beschäftigten am Laufen hält. Sowohl die Flächen als auch die Arbeitskraft bekommt er für wenig Geld. Denn die Stadt ist voll mit alten Industrieruinen - und mit jungen Menschen, die sich bereitwillig selbst ausbeuten, um nur ein Stück weit mitmischen zu können in der obersten Liga des internationalen Kunstbetriebs."
Moskau
Zu Putin-kritisch war wohl die Kunstaktion der Punkband Pussy Riots in einer Moskauer Kirche, die drei Musikerinnen befinden sich in Haft, das Berufungsverfahren startet nächste Woche. Über repressive Gesetze, Proteststimmung und erste Schritte einer aktiven Zivilgesellschaft, berichtet Carola Schneider aus Moskau. Nicht nur junge Leute gehen gegen Putin auf die Straße.
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"Wir treffen die greise Aktivistin bei einer Veranstaltung von Bürgerrechtlern und Anwälten, die die zahlreichen Rechtsverletzungen ausforschen und veröffentlichen wollen, die Sicherheitskräfte bei den Verhaftungen und Ermittlungen rund um die Ausschreitungen bei der Massendemonstration Anfang Mai in Moskau begangen haben. 'Im 19. und 20. Jahrhundert konnte man Proteste in Russland noch niederschlagen, das ist nicht mehr möglich', schüttelt die 85-jährige Alexejewa ihren schlohweißen Kopf. 'Die Gesellschaft hat sich verändert, erstmals überhaupt in der Geschichte Russlands ist eine Bürgergesellschaft entstanden.' Diese zeige sich nicht nur in den Straßenprotesten, sondern im zivilgesellschaftlichen Engagement vieler Menschen, was, anders als im Westen, in Russland bisher eher unüblich sei."
Rom
Nicht wie aktuell über die Intrigen im Vatikanstaat, sondern über die Untriebe der italienischen Mafia schreibt Mathilde Schwabeneder in "Mit eigenen Augen". Sie erzählt vom Interview mit dem italienischen Schriftsteller Roberto Saviano, der nach Drohungen der Mafia mit Personenschutz lebt.
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"Mehrmals gab es blinden Alarm. Saviano, erklärte man mir, habe aus Sicherheitsgründen keine fixe Bleibe. Aus denselben Gründen verschiebe sich daher auch oft sein Terminkalender. Technik der Irreführung nennen das seine Bodyguards. Als es endlich soweit ist, heißt es zuerst warten. Sicherheitskräfte durchkämmen das Gebäude und die Umgebung. Erst als alles unbedenklich scheint, wird Roberto Saviano vorgelassen. In Jeans und T -Shirt betritt er den Raum. Fast schüchtern stellt er sich vor. Entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten."
Auch Österreich ist lauf Roberto Saviano Teil ein Rädchen im Getriebe des organisierten Verbrechens.
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"Und Österreich? 'Österreich wird als Durchgangsland, aber auch als Investitionsgebiet angesehen. Verschiedene Mafiosi haben ihr Geld in österreichische Wintersportorte gesteckt. Die Österreicher selbst reagieren da fast naiv. Man kann das auch verstehen. Das Geld kommt ja reingewaschen an.'"
"Mit eigenen Augen" zeigt die facettenreiche Arbeit der Korrespondentinnen und Korrespondenten. Der Sammelband präsentiert lebendige Reportagen, die den Hintergrund zum oft vordergründigen Tagesgeschäft liefern.
Service
Roland Adrowitzer (Hrsg.), "Mit eigenen Augen. ORF-Korrespondenten berichten", Styria Verlag
RadioKulturhaus - Heimspiel der Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten