Drastischen Katastrophen von globalem Ausmaß
Der plötzliche Kollaps von allem
Was passiert, wenn plötzlich die Trinkwasserversorgung zusammenbricht, sich eine globale Seuche ausbreitet oder bösartige Roboter die Menschheit auslöschen? Diesen und anderen Krisenszenarien widmet der Systemanalytiker John Casti sein neuestes Buch.
8. April 2017, 21:58
Dieses Buch sei weder eine düstere Weltuntergangsgeschichte, noch eine apokalyptische Prophezeiung, stellt John Casti gleich in der Einleitung des Buches klar. Doch er nimmt, wie so viele andere, das mediale Getöse rund um den Maya-Kalender zum Anlass, über die Wahrscheinlichkeit von Großkatastrophen nachzudenken. Deren Folgen könnten immerhin apokalyptische Ausmaße annehmen.
Die extremen Ereignisse, mit denen sich John Casti in "Der plötzliche Kollaps von allem" beschäftigt, bezeichnet er als sogenannte "X-Events". Was nach einer großangelegten Extrem-Sport-Veranstaltung klingt, bezeichnet in diesem Fall globale Katastrophen, die sich überraschend ereignen und gewaltige Auswirkungen auf unser Leben haben.
Vom zu Ende gegangen Erdöl oder dem Zusammenbruch der weltweiten Nahrungsmittelversorgung bis hin zu intelligenten Robotern, die die Menschheit unterwerfen, werden elf solcher "X-Events" akribisch analysiert. Ihnen allen gemein ist, dass die existentielle Abhängigkeit von Technologien die Menschheit verwundbar gemacht hat.
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"Die gesamte industrialisierte Welt ist davon abhängig, dass sie ständig mit immer höher entwickelter Technologie versorgt wird. Außerdem sind die Systeme, die unsere Lebensweise erst möglich machen, vollständig miteinander verknüpft: Das Internet ist abhängig vom Stromnetz, das auf die Energieversorgung durch Öl, Kohle und Kernspaltung angewiesen ist, und diese wiederum beruht auf einer Produktionstechnik, die ihrerseits elektrischen Strom benötigt. So geht es immer weiter: Jedes System fußt auf einem anderen, das seinerseits abhängig ist, und alles ist mit allem verknüpft."
Hier zeigt sich dann spätestens der Systemanalytiker John Casti: die Welt als System ist enorm komplex geworden. Wer das System kontrollieren will, muss mindestens ebenso vielschichtig und vernetzt denken. Denn, so die Schlussfolgerung des Autors: Nur Komplexität kann Komplexität zerstören.
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"Wenn die Musik verstummt, liegt es letztlich daran, dass ein extremes Ereignis die Spielregeln verändert und den Stecker heraus gezogen hat. Und diese höchst überraschenden "X-Events", die mit ihren weitreichenden Auswirkungen die Systeme zerstören, beziehen ihre Triebkraft aus der ständig zunehmenden Komplexität der technischen und sonstigen von Menschen gemachten Infrastruktur, eben jener Infrastruktur, die das aufrechterhält, was wir beschönigend als »normales Leben« bezeichnen können."
Gleich das erste Krisen-Szenario bringt die Technologie-Abhängigkeit der heutigen Gesellschaft auf den Punkt: "Digitale Dunkelheit - Ein lang anhaltender, ausgedehnter Ausfall des Internets."
Anhand "historischer" Ereignisse skizziert John Casti diese Bedrohung: Sicherheitslücken im amerikanischen "Domain Name Server"-System im Jahr 2005, den tagelangen Zusammenbruch schwedischer Websites 2008 oder den Komplettausfall des Internets in Ägypten im Jänner 2011.
Die Folgen dieses "X-Events" wären fatal. Mittlerweile laufen etwa Bankgeschäfte, Nahrungsmittelbestellungen von Supermärkten, die Datensicherung im Gesundheitssystem oder die Koordination des internationalen Reiseverkehrs über das Internet. Die Sicherheitslücken des Systems wachsen und bieten Platz für gezielte Angriffe bzw. einen durch Überlastung herbeigeführten Ausfall, resümiert John Casti.
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Die Frage lautet nur: Wann werden die Löcher so groß sein, dass zu viele Menschen, Unternehmen oder Regierungen hineinfallen und nicht mehr herausfinden? Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, sind die Tage des Internets, zumindest so wie wir es heute kennen, gezählt.
Das derzeitige System soll mit einer Architektur der 1970er-Jahre die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts befriedigen, von denen sich in jenen friedvollen Tagen einer zweigeteilten Welt niemand etwas hätte träumen lassen. Die beiden interagierenden Systeme haben eine gewaltige Komplexitätslücke geschaffen, die von Tag zu Tag größer wird. Schon bald wird sie sich wieder verkleinern müssen - durch technischen Umbau oder durch einen Zusammenbruch.
Interessanterweise schreiben die Menschen dem Zusammenbruch des Internets als "X-Event" die geringste Wahrscheinlichkeit zu. Das besagt zumindest das Zwischenergebnis einer Online-Befragung des deutschen Zukunftsinstituts, die aus Anlass der Bucherscheinung durchgeführt wurde.
Auf Platz eins rangiert dort der endgültige Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte. John Casti dagegen scheint einen Amoklauf der Technik als fatales "X-Event" zu favorisieren. Eine übermenschliche Intelligenz oder sogenannte Singularität würde wohl kaum das Überleben der menschlichen Zivilisation zur obersten Priorität erklären.
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"In der Welt der Maschinen nimmt die Komplexität wesentlich schneller zu als auf der menschlichen Seite der Gleichung. Im Gegensatz zu einigen Komplexitätslücken, von denen ich zuvor gesprochen habe…ist die Singularität ein X-Event, das sich nicht in Minuten oder Sekunden, sondern in Jahrzehnten entfaltet. Seine Auswirkungen werden aber dramatisch und unumkehrbar sein, und sie werden den Menschen im großen Drama der Evolution des Lebens auf der Erde vom Mittelpunkt der Bühne verdrängen."
Auch wenn einige Bedrohungsszenarien in "Der Kollaps von allem" wie Science-Fiction anmuten, so liefert John Casti doch zu jedem seiner "X-Events" ausreichend historische Belege und wissenschaftlich fundiertes Hintergrundwissen.
Der Autor betrachtet sein Buch als Aufforderung, sich so gut wie möglich auf diese menschengemachten Katastrophen vorzubereiten. Seine Beobachtungen beschließt John Casti mit einem Zitat aus dem bekannten amerikanischen Cartoon Pogo: "Wir haben den Feind kennengelernt, und er ist wir".
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John Casti, "Der plötzliche Kollaps von allem", Piper Verlag