Der dunkle Kontinent Handtasche

Privatsache Handtasche

In seinem neuesten Buch, "Privatsache Handtasche", widmet sich der Soziologe Jean Claude Kaufmann dem liebsten Accessoire der Dame. Er möchte ergründen, was es mit der engen Bindung der Frauen an ihre Taschen auf sich hat.

Ganz ohne Zweifel ist die Handtasche ein intimes Ding. Sie gehört gewissermaßen zu den mit Tabu belegten Zonen am Körper der westlich geprägten Frau. Mag sie auch noch so viel Banales enthalten, die Tasche ist Symbol des Verborgenen, Geheimnisvollen, eines dunklen und irgendwie "weiblich" anmutenden mysteriösen Innen.

Ihr Zauber besteht auch darin, dem Blick – vor allem dem "männlichen" Blick – etwas Intimes vorzuenthalten. Niemand soll in dieses Geheimnis eindringen, weiß der Soziologe Jean-Claude Kaufmann.

Die Tasche ist heilig, und nicht ganz ohne Stolz berichtet Kaufmann, dass ihm dutzende Frauen ihre Taschen geöffnet hätten. Auf eine Anzeige hin meldeten sich 75 Freiwillige, die dem Forscher per Email beschrieben, welche Bedeutung ihre Handtaschen für sie haben, wie sie ihre Taschen nutzen und was sie in ihnen herumtragen. "Privatsache Handtasche" ist zu einem großen Teil aus diesen persönlichen Auskünften zusammengesetzt.

Die Alltagsanalysen Kaufmanns wollen die Tiefenschichten des Banalen freilegen. Tatsächlich macht die genaue Beobachtung des Selbstverständlichen einiges von dem klar, was man zuvor zwar wusste, aber noch nie so genau gesehen hat. Zum Beispiel, dass Taschen mit Nützlichkeit recht wenig zu tun haben.

Viele der Frauen, so stellt Kaufmann fest, schleppen Andenken an Orte und Situationen mit sich herum, aber auch Fotos von geliebten Personen, Heiligenbildchen, Rosenkränze. Die Tasche - so sagt Kaufmann - enthält in erster Linie Gefühle, "sie ist eine ganze Welt aus Zuneigung und Beziehungen". Kaufmann wundert sich vor allem darüber, wie viele Steine er in Taschen gefunden hat.

Kaufmann stellt auch fest, dass es viel leichter ist, etwas in eine Tasche hineinzutun als es wieder herauszuholen. Oft schildern die befragten Frauen, was sie alles mitnehmen, um für die Eventualitäten des Tages gerüstet zu sein – Wasserflaschen, Spielsachen fürs Kind, Kondome, Lippenstifte, Slips. Etwas hineinzutun in die Tasche, öffnet die Dimension der Zukunft. Etwas noch nicht wieder herauszuholen, gewährt Aufschub auch für Dinge, die vielleicht keine Funktion mehr haben.

Kaufmann widmet sich den Zettelchen, dem Vergangenen, dem Müll, der sich in Taschen ansammelt. In der Tasche aufgehoben müssen Dinge noch nicht ausgemustert werden, vielleicht braucht man sie noch. Die Handtasche ist ein Erinnerungs- und ein Möglichkeitsraum.

Die Tasche ist ein schillerndes Ding, betont Kaufmann: Sie hat ein Innen und Außen, sie ist Teil des Körpers und doch geschieden von ihm, sie ist banal und essentiell, sie ist ein Instrument der Beherrschung des Lebens und der Unterwerfung unter zu tragende Lasten.

In der Tasche verbindet sich auch die private mit der offiziellen Person der mitgeführten Ausweispapiere, weshalb der Verlust der Tasche oft als persönliche Verletzung empfunden wird. Vor allem aber ist sie, samt ihres wechselnden Inhalts, ein Medium der Identitätsstiftung. Mit der Tasche erzählen wir uns unser Leben, meint Kaufmann.

Die Tasche als Ort der Beziehung, als Liebesobjekt, als Zeitmaschine und als Selbsterschaffungsvehikel: Gemessen an seinen Aussagen hätte "Privatsache Handtasche" ein gutes Buch werden können – wäre da nicht dieser entnervend joviale und süffige Ton.

Wie ein gütiger Märchenonkel erläutert Kaufmann der Leserschaft auf jeder dritten Seite, dass einfache Dinge wie Lippenstifte, Einkaufslisten und Strumpfhosen tatsächlich große Tiefe bergen. Ernsthaft zeigen kann er das aber nur an wenigen Stellen. Denn aufs Ganze gesehen verliert er sich zu sehr im Mythos der geheimnisvoll weiblichen Tasche und in den detaillierten Ausführungen seiner Briefpartnerinnen, die "Noisette" heißen, "Valmontine", "Melody" oder "PetiteMiss". Kaufmann gibt sich als Voyeur – oder besser "Écouteur" – weiblicher Dialoge, die er väterlich, gutmütig und definitiv zu luftig interpretiert.

Dem Thema "Männer und Taschen" ist im Buch nur ein lieblos kurzes Kapitel gewidmet, denn damit kann und will Kaufmann offenbar nichts anfangen. Er lässt sich lieber von Metaphern leiten. Männer seien unabhängig, frei und taschenlos, während Frauen die Lasten trügen - vor allem wenn sie als Mütter Kinderzeug und Windeln im Gepäck hätten. "Denn sobald der Bauch dünner wird, wird die Tasche dicker", schreibt Kaufmann witzig. Das ist vermutlich frauenverstehend gemeint, doch mit solch banalen Geschlechtsmetaphern begibt sich der Alltagssoziologe in viel zu seichte Gewässer.

Service

Jean-Claude Kaufmann, "Privatsache Handtasche", aus dem Französischen von Anke Beck, UVK, Konstanz/München