Guanajuato Festival

In der mexikanischen Stadt Guanajuato findet zurzeit das größte lateinamerikanische Kulturfestival, das Festival Internacional Cervantino, statt. Zum 40. Jubiläum ist Österreich dort heuer gemeinsam mit Polen, der Schweiz und dem mexikanischen Bundesstaat Sinaloa Ehrengast.

In 19 Tagen treten rund 2000 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt auf, unter ihnen internationale Größen wie das Chicago Philharmonic Orchestra unter Ricardo Muti oder der estnische Komponist Arvo Pärt. Das Programm wird aber auch von erstaunlich vielen Künstlergruppen aus Guanajuato selbst mitgestaltet, wodurch das Festival seit vier Jahrzehnten kaum etwas von seiner regionalen Verankerung eingebüßt hat.

Am Anfang wurde Straßentheater gespielt

Seinen Namen und seinen Ursprung verdankt das Festival Cervantino dem Theater der Universität Guanajuato. In den 1950er Jahren führte es erstmals kurze Dramen, sogenannte Entremeses, des spanischen Dichters Miguel de Cervantes auf und hatte damit erstaunlichen Erfolg, erzählt dessen Mitbegründer und Leiter, Eugenio Trueba. "Wir wollten Straßentheater spielen und die kleinen Stücke von Cervantes schienen uns für eine Laiengruppe genau richtig. Außerdem passten die Entremeses sehr gut zum Platz an dem wir spielten. Wir waren so erfolgreich, dass wir weitermachten."

Die beliebten Freiluftaufführungen wurden fortan jährlich wiederholt und bald durch Ausstellungen und Konzerte ergänzt. So wuchs das Cervantino zum heute größten Kulturfestival Lateinamerikas.

Theater-, Tanz- und Musikdarbietungen

Die Entremeses sind noch immer fixer Programmpunkt, ebenso wie die zahlreichen anderen Theater-, Tanz- und Musikdarbietungen von regionalen Künstlerinnen und Künstlern. Zum Beispiel die Camerata de la Nueva España unter der Leitung von Lourdes Rábago. "Für uns ist es sehr wichtig, an einem Festival von der Dimension des Cervantino teilzunehmen. Und wir sind stolz, dass wir unseren Bundesstaat und unsere Stadt auf einem so wichtigen Festival präsentieren können."

Das Vokalensemble widmet sich vor allem der geistlichen Musik, etwa von Domenico Zipoli, die in der Frühen Neuzeit von Europa nach Lateinamerika gebracht und dort von indigenen Strömungen beeinflusst wurde, erzählt Iván Montes.

"Die indigene Bevölkerung lernte schnell, die Musik des Alten Kontinents zu komponieren, aber sie integrierte ihre eigenen Besonderheiten, so dass eine interessante Mischung entstand. Ähnliches sehen wir in der Malerei hier in unseren barocken Kirchen: Manche Engel sehen aus als hätten sie Hühnerflügel, denn die Einheimischen hatten keine Ahnung, was sich die Europäer unter Engeln oder Jungfrauen vorstellten. Die so entstandene Mischung der Kulturen ist auch in der Musik dieser Zeit sehr interessant."

Wer kommt, der bleibt

Ein musikalisches Kontrastprogramm, ebenfalls made in Guanajuato, bietet das Ensemble Zephyrus. Benannt nach jener mythologischen Gottheit, die als Westwind stets Neues bringt, erarbeitet das Bläserquintett mit Vorliebe zeitgenössische Musik, sagt der Oboist Héctor Fernández. "Letztes Jahr hatten wir zum Beispiel ein Werk von José Zamora im Programm, ein Komponist der in Guanajuato lebt. Die Arbeit mit Vierteltöne und neuen metrischen Formen war ein sehr interessantes Experiment für uns."

Die Mitglieder des Ensemble Zephyrus sind alle auch im Symphonieorchester der Universität beschäftigt. Musikalische Engagements haben sie aus verschiedenen Teilen Mexikos und der USA nach Guanajuato gebracht. Ein Umstand, den sie mit vielen hier lebenden Künstlerinnen und Künstlern teilen sagt Hugo Manzanilla, der Klarinettist des Ensembles. "Es gibt hier ein Sprichwort, das besagt, wer einmal in die Cañada, also in das Stadtzentrum eintritt, der kommt nie wieder hinaus. Als ich vor viereinhalb Jahren mit einem Vertrag für eine Woche hier herkam, erzählten sie mir das und ich habe nur gelacht. Und da bin ich jetzt, mit einem Job im Orchester, mit dem Ensemble, und eigentlich fühlen wir uns alle schon wirklich als Teil von Guanajuato."

Kulturelle Aktivitäten lösten den Bergbau ab

Guanajuato befindet sich etwa fünf Fahrstunden nordwestlich von Mexiko-Stadt in einem engen Gebirgstal. Auf den verwinkelten Kopfsteinpflasterstraßen bahnen sich Autos und Busse ihren Weg durch die Passanten. Schmucke Kolonialbauten erinnern an die Vergangenheit als Minenstadt, die der spanischen Krone Silber- und Goldschätze lieferte.

Die ehemaligen Bergwerkstollen werden heute als unterirdische Verkehrswege genutzt. Als das Cervantino in den 1970er Jahren gegründet wurde, ging der Bergbau in Guanajuato gerade zu Ende und die ganze Region stand vor einem wirtschaftlichen Desaster, erzählt Eugenio Trueba. "Guanajuato befand sich in einer Zeit der Wirtschaftskrise, als die Aufführungen der Entremeses erstmals Besucher in die Stadt brachten dem Tourismus eine wichtige Tür öffneten. Gerade als der Bergbau zusammenbrach, begann eine rege kulturelle Aktivität und kurbelte die Wirtschaft wieder an. Das zeigt auch die Rolle der Kultur als wichtigen Wirtschaftsfaktor."

Ein Ort des Feierns

Das Festival bildet bis heute die Haupteinnahmequelle vieler ansässiger Familien, denn andere Arbeitsplätze sind rar. Knapp 60 Prozent der mexikanischen Bevölkerung leben in Armut, das ist auch hier spürbar. Und dennoch zieht die Stadt jedes Jahr tausende Festivalbesucher an.

Abseits des offiziellen Programms tummeln sich Abend für Abend Straßenkünstler, Gaukler und Mariachigruppen in festlichen Trachten auf den überfüllten Plätzen. Guanajuato wird zu einem Ort des ausgelassenen Feierns, aber auch des Austauschs und der künstlerischen Vernetzung, erzählt Héctor Fernández vom Ensemble Zephyrus. "Das ist eine gegenseitige Befruchtung. Das Festival existiert es dank der vielen Künstler und die Künstler sind dank des Festivals hier. Und es ist schön zu sehen, dass die Aufführungen aus Guanajuato von der gleichen Qualität und Dimension sind wie die internationalen Beiträge."

Strenge Auswahlverfahren

Die Festivaldirektorin Lidia Camacho will künftig noch mehr internationale Künstler nach Guanajuato einladen, vor allem große Orchester und Tanzkompanien. Die lokalen Künstlergruppen müssen sich jährlich einem strengen Auswahlverfahren unterziehen, um teilnehmen zu dürfen.

Sie wünschen sich eine stärkere Förderung der regionalen Kunstschaffenden – sowohl im Rahmen des Festivals als auch das ganze Jahr über, sagt Lourdes Rábago. "Es gibt viele Kunstschaffende hier in Guanajuato, die viel besser unterstützt werden sollten. Es wäre zum Beispiel schön, wenn ihnen das Festival mehr Aufmerksamkeit schenken könnte, denn die Zahl derer, die gerne daran teilnehmen würden, ist wirklich groß."