Der große Bluff
Arme Milliardäre!
In etwas mehr als drei Wochen wird in den USA wieder gewählt. Der Ausgang ist ungewiss - auch dank des Aufstiegs der Tea Party-Bewegung. Wie diese rechts-konservative Bewegung trotz Wirtschaftskrise so mächtig werden konnte, lässt sich im Buch "Arme Milliardäre!" nachlesen.
8. April 2017, 21:58
Was ist schief gelaufen vor vier Jahren, als die USA von der größten Finanzkrise seit den 1930er Jahren heimgesucht wurde? Wie konnte just in dem Moment, als zockende Banker die Weltwirtschaft tief in den Abgrund blicken ließen, am rechten Rand eine Bewegung wie die Tea Party entstehen?
Eine Gruppe, die nichts weniger fordert als den freien, den ungezügelten Markt? Thomas Frank, linksliberaler Autor und Kolumnist, geht in seinem Buch "Pity the Billionaire" - so der Originaltitel - diesen Fragen nach.
Eine logische Erklärung
"Es ist klar, die Finanzkrise wurde ausgelöst durch das Fehlen oder Zurückdrängen staatlicher Regulierungen auf dem US-Finanzsektor. Aber dazu kommt eine zweite Begebenheit: die "Bailouts", die Banken-Rettungsaktion der Regierung! Die Tea Party lehnte sie mit der Begründung ab, dass so ein staatlicher Eingriff in einer wirklich freien Marktwirtschaft nicht vorkommen dürfe. Das Lustige daran war, dass sie in einem Moment, in dem das Versagen eines unkontrollierten Kapitalismus so klar und schmerzlich zutage trat wie nie zuvor, dass sie die Situation umlenken konnten in eine Forderung nach Deregulierung", erklärt Frank.
Dass der Volkszorn nicht die Banken traf, sondern die Obama-Regierung, dafür macht Thomas Frank auch den Präsidenten selbst verantwortlich: die Banken-Rettung sei mehr schlecht als recht durchgeführt worden – was blieb, war der schale Nachgeschmack, dass die Regierung mit den Finanzhaien gemeinsame Sache macht und Steuergelder in die maroden Banken pumpt.
Das Feindbild des "kleinen Mannes" war plötzlich nicht mehr das große Kapital, sagt Thomas Frank, sondern der raffgierige Staat. Aus der Wut auf die Wall Street wuchs der Ärger auf die regierenden Demokraten.
Die Republikaner nützten die Gunst der Stunde. Sie verstanden es, die Tea Party zu ihrer Bewegung zu machen und schürten die Angst der Amerikaner vor einem übermächtigen Staat.
Mit dem freien Markt auf den richtigen Weg
"Newsweek Magazine hatte während der Banken-Rettungsaktion eine Coverstory, in der zu lesen war: Wir sind jetzt alle Sozialisten. Dabei gibt es nicht einmal eine sozialistische Partei in den USA. Sozialismus gilt als Schimpfwort! Im ganzen Land sprachen Experten davon, dass diese Bankenrettung ein Akt des Sozialismus sei. So war es einfach für die Tea Party-Bewegung, den Leuten einzureden, dass die USA hinter ihrem Rücken in ein sozialistisches Land verwandelt worden wäre - und jetzt gelte es, mit einem freien Markt wieder auf den richtigen Weg zu kommen", erklärt Frank.
Dabei sei es gerade der Abbau von staatlichen Regulierungen gewesen, mit dem Obama-Vorgänger George W. Bush der Finanzkrise erst Tür und Tor öffnete, meint Thomas Frank.
Wie ernst es die Konservativen mit ihrem neuen, radikalen Kurs meinen, zeigte der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan in seinen vor einigen Wochen präsentierten Budgetplänen.
Alles Geld für das Militär
"In seinem Budget will er die Ausgaben der Regierung auf den Stand der frühen 1930er Jahre bringen - Sozialversicherung und Krankenversicherung für Pensionisten ausgenommen. Aber wenn Sie das wirklich machen, wäre nichts mehr übrig, weil alles ins Verteidigungsbudget gehen würde, ins Militär. Das wäre einmal etwas völlig Neues", lacht Thomas Frank.
Wer glaubt, dass in Krisenzeiten mit einem solchen Budgetentwurf keine Stimmen zu gewinnen wären, der irrt. In den letzten Wochen haben die Republikaner in den Wahlprognosen rasant aufgeholt, Experten gehen mittlerweile von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Barack Obama und Mitt Romney aus.
Viele US-Amerikaner werden bei der Wahl wohl gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen stimmen. Und für den amerikanischen Traum, der vorgibt, dass aus jedem Tellerwäscher ein Millionär werden kann. Sogar Arbeitslose stimmen ein in den Lobgesang auf den ungezügelten Markt. Ein Phänomen, das Thomas Frank gerne als "Massenbekehrung zur Religion der freien Marktwirtschaft" bezeichnet.
Aus seiner Sympathie für die Demokraten macht der Autor keinen Hehl. Aber auch Barack Obama bekommt in "Arme Millionäre" sein Fett ab: der Präsident habe schon längst seinen Heiligenschein abgelegt, sagt Thomas Frank.
Obama hat die Wähler enttäuscht
"Obama hat viele seiner großen Versprechen aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2008 nicht gehalten. Man dachte, er würde Dinge verändern. Die Menschen erwarteten – und hatten jedes Recht, das zu erwarten - dass er den Finanzsektor – die "Wall Street"- beruhigen könnte. Keine Frage. Aber er hat es nicht gemacht. Das größte Problem der USA ist die Macht der "Wall Street" – und er hat nichts daran verändern können. Die große soziale Ungleichheit in Amerika – ehrlich, es ist wie im 19. Jahrhundert - er hat das nicht aufhalten können", sagt Frank.
Die Zeit für einen Wechsel im Weißen Haus sieht Thomas Frank noch nicht gekommen: Barack Obama habe bei der kommenden Wahl die besseren Karten, meint er - aber nur, weil die Republikaner auf den falschen Kandidaten gesetzt hätten.
Der regierende Präsident wird gewinnen
"Obama wird wahrscheinlich gewinnen. Er ist der regierende Präsident. Nach vier Jahren weiß man, wer er ist, man hat keine Angst mehr vor ihm. Mitt Romney dagegen hat ein Investmentunternehmen geführt…die Idee, jemanden von der Wall Street als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen nach dem kolossalen Zusammenbruch des Finanzsektors ist totaler Unsinn. Und er ist einer der reichsten Menschen in Amerika. Was haben die sich dabei gedacht, ihn aufzustellen?", sagt Thomas Frank.
Sein Buch "Arme Milliardäre" ist eine polemische Abrechnung mit den Populisten am rechten Rand – gespickt mit bösem Humor, aber auch punktgenauen Analysen. Eine Lektüre, die auch für Kenner der amerikanischen Politszene noch Lesenswertes bereithält.
Service
Thomas Frank, "Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt", Kunstmann Verlag