Bibelkommentar zu Römer 7, 14 - 25a
„Wollen hätt ich schon mögen... aber dürfen hab ich mich nicht getraut“. - Auf unnachahmliche Weise beschreibt der bayrische Komiker und Autor Karl Valentin die von Paulus beschriebene Erfahrung, dass der Mensch „Teil von jener Kraft ist, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“.
8. April 2017, 21:58
Paulus gesteht ihm zwar Einsicht in das zu, was eigentlich gut wäre, nicht aber, dass er deshalb auch tatsächlich etwas Sinnvolles zustande bringen würde. Es drängt sich nämlich ein ungebetener Gast zwischen Wollen und Vollbringen –die Sünde.
Gehen wir in Gedanken zurück und versetzen uns in die Zeit des Apostels: Die ersten christlichen Gemeinden entstehen und Paulus schreibt um das Jahr 56 aus Korinth nach Rom, vermutlich an kleinere, eigenständige Hausgemeinden.
Weil sich die Christen nicht dem Mehrgottglauben der Umgebung anpassen wollen und Jesus Christus anstelle des Kaisers verehren, werden sie bald als Bedrohung der öffentlichen Ordnung wahrgenommen und von Verfolgung bedroht.
Es ist auch die Zeit, wo die Gemeinden ihre Anhänger nicht mehr primär unter den Juden, sondern in anderen Völkern, sogenannten Heiden, finden und Fragen diskutieren wie: Muss man, wenn man Christ werden will, die jüdischen Speise- und Reinheitsgebote sowie das Schabbat- und das Beschneidungsgebot befolgen?
Vor diesem Hintergrund steht auch Paulus sperrige Abhandlung über den Widerspruch zwischen Wollen und Tun - ein zentraler Text seiner Theologie und zugleich ein eindrückliches Zeugnis für die Verbindung von Christentum und griechisch-römischer Antike vor.
Paulus nimmt hier nämlich das Medea-Motiv aus der antiken Tragödie auf, wo die liebende Mutter Medea im Zorn die gemeinsamen Söhne tötet, um ihren untreuen Gatten Jason zu strafen – eine eindrückliche Inszenierung des Widerspruchs von Wollen und Tun, der auch Paulus schmerzlich bewusst ist.
Er kann ihn auch nicht ein für allemal lösen. Er beschreibt hier vielmehr stellvertretend für alle Menschen eine Grundbefindlichkeit des Menschen bis heute: „Ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.“
Wer kennt solche Situationen nicht, in denen man sich mit vollem Recht darauf berufen kann, das Gute gewollt zu haben und doch ist genau das Gegenteil von dem herausgekommen, was eigentlich beabsichtigt war?
Eltern, die nur das Beste für ihre Kinder wollen und doch nie den richtigen Ton treffen.
Menschen, die ihre Emotionen nicht beherrschen können, anderen Gewalt antun und selbst erschrocken darüber sind, wie das hat geschehen können, und selbst nicht wissen, wer da eigentlich Macht über sie ergriffen hat.
Paulus beschreibt diesen Zustand präzise und deutet ihn theologisch: „Wenn ich aber gerade das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der handelt, sondern die Sünde, die in mir wohnt.“ Dem „Ich“ ist unerklärlich, warum es dem Guten, um das es doch weiß, nicht zu folgen vermag.
Manche Hirnforscher sagen zur Problemlage, dass alles, was der Mensch tut und entscheidet, biologischen Prozessen unterworfen ist, die er nicht bewusst steuern kann. Damit hätten wir gar keine Möglichkeit zur freien Entscheidung und wären also für die Folgen unseres Handelns nicht verantwortlich.
Manche Philosophen haben dagegen gemeint, man müsse den Menschen nur zeigen, dass sie sich durch ihren Zorn und ihre Begierde immer tiefer in ihr Dilemma verstricken und ihre Affekte kontrollieren lernen müssen.
Bei Paulus liegen die Dinge noch einmal anders: Der Mensch erkennt die Zerrissenheit zwischen seiner Bestimmung und seinem faktischen Zustand, kann sich aus diesem ausweglosen Zustand aber nicht befreien, sondern nur noch einen Hilferuf herausschreien: „Ich unglückseliger Mensch, wer wird mich erretten aus diesem Todesleib?“
Rettung von außen sei nötig: Christus wird ihn aus seinem Dilemma befreien. Es ist der noch nicht befreite Mensch, dessen Lage Paulus hier beschreibt. Im Rückblick sieht er, wie es damals war, bevor er zum Glauben gekommen ist. Jetzt dagegen kann er ausrufen: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ Der Mensch in Christus ist dem unseligen Widerspruch von Wollen und Tun entronnen.
Martin Luther, an dessen Thesenanschlag die evangelischen Kirchen letzten Mittwoch in Form des Reformationstages erinnert haben, hat diese Überlegung später dahingehend weitergeführt, dass er den Menschen gleichzeitig als Sünder und Gerechtfertigten beschrieben hat. Damit hat er die von Paulus als zeitliche Abfolge von zunächst unerlöstem, dann befreitem Menschen als ständige Situation des Christen gedeutet.
Paulus ist überzeugt, dass der Glaube an Jesus Christus den lähmenden Gegensatz von Wollen und Tun hinter sich gelassen hat. Luther hat die alltägliche Erfahrung im Blick, wo Wollen und Vollbringen einmal in Einklang stehen, ein andermal eben nicht. Und er hat diese belastende Situation auf tröstliche Weise in den christlichen Glauben integriert und sagt in seiner Auslegung dieses Textes: „Sieh: ein und derselbe Mensch dient zugleich dem Gesetz Gottes und dem Gesetz der Sünde; er ist zugleich gerecht und sündigt...“ und er ist „gesundgemacht, das heißt im Begriff stehend, gesund zu werden...“.
Deshalb soll niemand über dem Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen verzweifeln. Da wo Menschen unweigerlich immer wieder versagen oder scheitern, werden sie aufgerufen, an der Hoffnung, gesund zu werden, festzuhalten.
Wo Karl Valentin bei einem leicht resignativem „Wollen hätt ich schon mögen..., aber dürfen hab’ ich mich nicht getraut“ stehen bleibt, würde Martin Luther mit Paulus im Rücken vermutlich sagen: Geh das Risiko des Lebens ein und „...sündige kräftig, aber vertraue noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt!“