Sowjetische Architektur der Moderne

Stalinistische Architektur und Konstruktivismus - das ist für Architekturinteressierte auch hierzulande kein neues Terrain. Aber was kam danach? Die „Sowjetmoderne“. das Architekturzentrum Wien widmet ihr jetzt eine Ausstellung. Es geht um die Architektur der 14 ehemaligen Sowjetrepubliken, die während der späten 1950er Jahre bis zum Ende der UdSSR im Jahr 1991 entstanden ist.

Morgenjournal, 8.11.2012

Als die Sowjets in den frühen 80er Jahren an der Südküste der Halbinsel Krim bei Jalta riesige Stützpfeiler betonierten, vermutete das Pentagon, der Feind würde eine neue Abschussrampe für Raketen bauen. Tatsächlich war die kreisrunde Betonprovokation auf Stelzen ein Erholungsheim für Sowjetbürger mit dem Namen "Druschba", und das heißt so viel wie Freundschaft.

Größenwahn, Betonwüsten und Plattenbauten, gestapelte Balkone und bizarre gigantomanische Architekturfantasien - das fällt den meisten ein, wenn von der Architektur des ehemaligen Ostblocks die Rede ist.

Unterschiede in der sowjetischen Architektur

Aber es gab sie doch: regionale Besonderheiten, die in der Ausstellung an spezifisch sowjetischen Gebäudetypen demonstriert werden: an den Pionier- und Hochzeitspalästen, den Häusern der politischen Bildung und an den Winterzirkussen.

Keine Rede also von sowjetischem Einheitsbrei: Da ist der Sport- und Kulturkomplex in Jerewan mit kühn ausschwingenden, segelförmigen Betonschalen, die geometrisch-orientalische Fassade der Ausstellungshalle in Taschkent, die genauso gut eine Moschee schmücken könnte oder auch die elegante mit Holz verkleidete Villa Andropow, die sich der damalige KGB-General als Sommerfrische in den Wäldern Estlands erbauen ließ.

Ein bisher unbekanntes Stück Architekturgeschichte

In zahlreichen Recherchereisen sind drei Kuratorinnen des Architekturzentrums durch 14 ehemalige Sowjetrepubliken getourt - durch das Baltikum und die Kaukasusrepubliken, durch Weißrussland, die Ukraine und die Republik Moldau, durch Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan.

Bröckelnde Fassaden, Alterserscheinungen wie Lecks und Rost - heute sind viele der spätsowjetischen Monumente vom Verfall bedroht. Und das nicht nur, weil das Wetter an ihnen nagt, Geld fehlt oder weil zu Sowjetzeiten schlampig gebaut wurde und der Beton mittlerweile zerbröselt. Oft ist es vor allem der fehlende politische Wille, das bauliche Erbe der kommunistischen Ära zu bewahren.

"Sowjetmoderne" im Architekturzentrum Wien - das ist nicht nur eine beeindruckende Bestandsaufnahme, sondern auch eine Aufforderung, ein großes und bis dato weitgehend unbekanntes Kapitel der Architekturgeschichte neu zu bewerten.