Bibelkommentar zu Markus 13, 24 - 32

Regina Polak war 16, als sie zu dieser Stelle aus dem Markus-Evangelium für einen Kindergottesdienst einen Kommentar verfassen sollte. Sie hat den Text damals einfach weggelassen, weil er ihr selbst zu viel Angst machte. Heute hält sie ihn für sehr realistisch.

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: In jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen. Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels. Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr all das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.

"The Day after Tomorrow", "Deep Impact" oder "2012": Katastrophenfilme haben Saison. Sie spielen mit Angst und Lust an Weltuntergangsfantasien. Aber ich muss gar nicht ins Kino gehen, um mich zu fürchten. Die Gegenwart ist voll von Ereignissen, die das Gefühl auslösen können, die Welt geht bald unter. Klimakatastrophen wie die atlantischen Hurrikanes, die fortschreitende Umweltzerstörung, die atomare Zurüstung und die globale Wirtschaftskrise, Massendemonstrationen in Griechenland, Spanien oder der arabischen Welt, weltweit Kriege und Gewalteskalationen – hat die Apokalypse nicht schon längst begonnen?

Die Bibel sagt: Ja. Aber sie versteht das differenzierter als Katastrophenfilme oder verängstigte Zeitgenossen.

Apokalyse, ein griechisches Wort, bedeutet Offenbarung und Enthüllung. Apokalyptische Texte in der Bibel beschreiben, wie katastrophisch die Welt ist – und erzählen zugleich, wie sich innerhalb dieser Katastrophen Gottes Wirklichkeit enthüllt: Er möchte, so der Tenor dieser Schriften, seine Welt befreien, retten und heilen. Die Visionen können sich dabei mit Rache- und Bestrafungsfanatasien und einer sado-masochistischen Lust am Untergang verbinden. Dies aber widerspricht der biblischen Botschaft. So finden sich in der Bibel nur wenige Apokalypsen, ganz im Unterschied zur damaligen zeitgenössischen Umgebung, in der solche Texte weit verbreitet waren. Im Alten Testament ist dies die sog. Daniel-Apokalyse, im Neuen Testament die Johannesoffenbarung. Charakteristisch für die biblischen Texte ist, dass sie neben Bildern von Angst, Bedrohung und Zerstörung immer auch Bilder der Hoffnung malen.

Die Schriftstelle aus dem Markusevangelium schildert ein solches apokalyptisches Szenario: Große Not, Sonnen- und Mondfinsternis, Erschütterung des Himmels. Sie malt in furchteinflößenden Bildern das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Wenn ich an die Gegenwart denke, finde ich diese Bilder sehr realistisch. Die Menschheit verfügt ja tatsächlich über das geistige und technische Potential, sich selbst zu vernichten. Mitten in diesem Chaos aber erscheint der Menschensohn, der die Menschen retten wird. Der Menschensohn, das ist eine visionäre Erlösergestalt aus dem Buch Daniel in der hebräischen Bibel, im Alten Testament. In diesem Buch wird eine Zukunftsvision entworfen: Nach Jahrhunderten imperialer politischer Herrschaft von Menschen, die eher Bestien, eher Tieren gleichen als Menschen, erscheint - endlich – ein Mensch, ein wirklicher Mensch. Ein Mensch, der Friede und Gerechtigkeit in die Welt bringen wird und mit jenen, die er dazu auswählt, die Welt menschlicher werden lässt. Christinnen und Christen haben in Jesus von Nazareth diesen Menschensohn erkannt. Sie glauben, dass mit ihm die bestehende, schlechte Welt zu Ende geht und eine neue, andere, bessere Welt - das Reich Gottes - nun unaufhaltbar Wirklichkeit wird. Sie selbst sind dazu berufen, dabei mitzuhelfen. Eine Hoffnung, die bereits im Judentum besteht, Christen glauben, dass es JETZT geschieht – mitten in einer katastrophischen Welt. Das ist eine mutige Hoffnung, denn die Fakten sprechen nicht selten dagegen.

Wie realisiert sich diese Hoffnung? Dazu muss man das apokalyptische Bild des Markus im Horizont des ganzen Evangeliums lesen.

1. Es gibt kein fixes Datum für das Weltenende. Die Welt hat Zeit, sich zu Gott zu bekehren. Die Welt wird auch nicht in einem einzigen Augenblick gerichtet und vernichtet. An die Stelle der Katastrophenbilder setzt Jesus Bilder des schrittweisen Wachstums des Reiches Gottes. Auch im Evangelientext folgt das Bild vom erblühenden Feigenbaum, an dem man erkennt, dass eine neue Welt naht. Wer dem Untergang entkommen will, braucht Geduld und Achtsamkeit für die kleinen Hoffnungszeichen.

2. Auch die Vorstellungen vom alles verbrennenden Gericht, die sich oft mit dem Weltenende verbinden, werden konterkariert. Gott, der in Jesus kommt, um die Welt zu richten, stirbt ohnmächtig am Kreuz. Er verzichtet auf Gewalt. Er richtet, indem er heilt und befreit. Er zeigt, wie man die Wirklichkeit anders wahrnehmen und gestalten kann: in Gott verortet und von ihm geliebt.

3. Schließlich braucht man keine moralische Eintrittskarte in die neue Welt Gottes, in sein Reich. Allen Menschen, auch den sogenannten Sündern ist zugesagt, dass das Reich Gottes schon da ist und sich JETZT ereignet. Alle können es wahrnehmen lernen.

Damit ist die Bedrohung durch einen Weltuntergang nicht aufgehoben. Christlicher Glaube verspricht nicht, dass die Welt unendlich existieren wird. Am Ende der Zeiten, so heißt es, macht Gott selbst ein Ende mit ihr. Aber vorher haben alle die Chance, zu ihm zu finden. Deshalb wird die Welt bejaht, auch angesichts der Möglichkeit, dass Menschen sie völlig zerstören können. Das Reich Gottes kommt demnach unaufhaltbar, aber nicht wie ein Naturgesetz. Ich kann und muss es zuerst wahrnehmen und annehmen und kann dann dementsprechend handeln.

Ich halte die Selbstzerstörung der Menschheit nicht für ausgeschlossen. Die Geschichte zeigt, wozu Menschen fähig sind. Heute stehen uns beinahe unbegrenzte Mittel zur Verfügung, das Leben zu fördern oder zu zerstören. Als Christin hoffe ich, dass Menschen fähig sind, sich für das Reich Gottes zu entscheiden. Dazu bedarf es einer sensiblen Wahrnehmung dieses Reiches inmitten der zeitgenössischen Apokalypsen: die Achtsamkeit für die knospenden Feigenbäume, die sich vielerorts heute auch zeigen, wo Menschen, ob gläubig oder nicht, sich für eine humane, friedliche und gerechte Welt engagieren.