Social Media ändern den Journalismus

Immer wieder droht den ORF-Facebook-Seiten das Aus - eine endgültige Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs steht aus. In anderen europäischen Ländern ist das kein Thema, in Großbritannien etwa gehören die neuen sozialen Medien wie Twitter und Facebook längst zum Alltag aller Medien.

Morgenjournal, 21.11.2012

Twitter statt Agentur

Stuart Hughes ist Auslandskorrespondent der BBC, er ist immer wieder im Nahen Osten im Einsatz. Er meint: "Social Media hat meine Recherche total verändert. Früher waren Nachrichtenagenturen wichtig, heute schaue ich die kaum an. Wenn ich zum Beispiel über Syrien berichte, folge ich meinen Twitter-Kontakten vor Ort, ich erfahre viel früher und unmittelbarer, was dort los ist." 80 Prozent der Nachrichten erfährt Stuart Hughes über Twitter, nur mehr 20 Prozent über die Agenturen.

Facebook für Spezialthemen

Twitter ist also die neue Nachrichtenagentur. Facebook eignet sich eher für Spezialthemen, sagt Anna Doble, Onlinechefin von Channel4 News, dem britischen Rivalen des BBC. "Habbo Hotel ist ein Videospiel für Teenager, wir haben herausgefunden, dass dort über einen Chat Pädophile Kinder ansprechen. Also haben wir über Facebook Teenager nach ihren Erfahrungen gefragt und über Gefahren informiert, diese Inhalte haben wir dann auch auf Sendung gehabt. Jetzt gibt es die Chat-Funktion in dem Spiel nicht mehr."

Mehr Möglichkeiten

Auch BBC Radio 4, ein Sender ähnlich wie Ö1, würde keine Journalisten einstellen die nicht mit Social Media umgehen können, sagt die Nachrichtenchefin Joanna Carr. Der journalistische Nutzen: Mehr und schnellere Informationen, mehr Quellen, mehr Möglichkeiten, das Publikum zu erreichen, vor allem junge Menschen, direktes Feedback. Kein Wunder also, dass Twitter und Facebook im neuen Multimedia-Newsroom der BBC eine zentrale Rolle spielen.

Natürlich haben soziale Netzwerke ihre Tücken; unseriöse Quellen oder falsche Fotos zum Beispiel. Aber fast jede Nachrichtensendung im britischen Fernsehen zeigt einen Twitter Hashtag, also das Stichwort zum Thema, das auf Sendung diskutiert wird. Auch Zeitungsartikel sind voll von Twitter-Zitaten.

Kopfschütteln über Österreich

Das österreichische Social-Media-Verbot für öffentlich rechtliche Medien erzeugt in Großbritannien Kopfschütteln. Etwa bei der Medienanalystin Claire Enders: "Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Jeder darf sich auf Social Media vermarkten, sogar Putin." Das Argument in Österreich, dass öffentlich Rechtliche der privaten Konkurrenz im Internet lukrative Werbeeinschaltungen streitig machen, hält Enders für übertrieben. Im Internet habe noch keiner Geld gemacht.

In Großbritannien sei der Social-Media-Auftritt der BBC nie in Frage gestellt worden, sagt Enders. Und je mehr die Zeitungen an Bedeutung verlieren, desto wichtiger sei es, dass öffentlich rechtliche Qualitätsmedien ihr Publikum über Social Media erreichen. Wer das verbiete, schade der Öffentlichkeit. Für den ORF ein Kapitel mit offenem Ausgang.

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