Stoff der Heimat

Die "Café Sonntag"-Glosse von Joesi Prokopetz

Heimat ist ein großer Stoff. Nicht unbedingt weites Land, aber großer Stoff. Ein opulenter Begriffsinhalt, der sich letztlich immer schon einer einheitlichen Definition entzogen und breitgefächerter Interpretation Raum gegeben hat.

Dadurch muss "Heimat" als Synonym für bockigen Nationalismus über blödsinnigen Hurra-Patriotismus bis zu gefühlsduselig kitschigen Second-Hand-Emotionen herhalten.

Die großen Migrationsbewegungen in Tateinheit mit der fortschreitenden Globalisierung tun ein Übriges, um den Heimatbegriff aufzuweichen, schwammiger zu machen und ihn der Beliebigkeit anheimzustellen, sodass wir uns fragen können: "Brauchen wir Heimat im traditionellen Sinn noch? Ist Heimat durch die Zeitläufe nicht ähnlich obsolet geworden wie beispielsweise "Glühstrumpf". Wir kennen den Glühstrumpf noch, aber wir brauchen ihn nicht mehr, denn wir haben ganz andere, neue und effizientere Lichtquellen, die unser Leben bei Dunkelheit erhellen. Und verhält sich Heimat als Vaterland nicht ähnlich Energiesparlampe zu Glühstrumpf?

Und dennoch wird Heimat nach wie vor im anachronistischen Sinn verwendet. Ganz deutlich zum Beispiel bei Wahlen. Von den einen auf unverschämte, vordergründig sinnentleerte Weise zum Hehren und Erhabenen aufgeblasen, von den andern auf den gemütlichen Lebensmittelpunkt und merkantile Lebensinteressen reduziert. Es wundert daher nicht, dass Heimat, immer wenn sie zur Diskussion steht, Stoff liefert, der durchaus explosiv sein kann und zu Zwietracht führen. Ah!

Noch ein Stoff aus dem Heimat ist: Tracht!
Heimatliche Stoffe, von Loden, Leder, Wolle über - zumindest seinerzeit - Drillich bis zum Filz. Die Tracht, zurzeit en vogue, aber schon lange immer wieder präsent und vor allem bei Vorkommnissen volkstümlicher Natur identitätsstiftend. Da wirbelt der rot-weiß-rot gewürfelte Rock, da fliegt die grüne Schürze, luftig umspielt von rosaroten Bändern und Maschen, da wogt das spitzenumzingelte Dekolleté, da dirndelt es reihum beim Volkstanz, wenn Alabasterarme aus gebauschten Puffärmeln herausragen und trotzig in die Hüften gestemmt werden. Der Fuß im samtenen oder wildledrigen, flachen Schuh mit der von Hand gehämmerten Silberschnalle gleitet bodenständig ballettös über die knorrigen Dielen des Tanzbodens und dann und wann entschlüpft ein Jodler, der mit einem aufwendig bestickten Kropfband betonten Kehle.

Da kracht die Lederne, deren Schnalle zuverlässig die wollbestrumpfte Burschenwade nach oben hin stramm begrenzt. Wadl verpflichtet, wie es heißt. Der mit folkloristischen Applikationen durchwirkte Gürtel umschließt die viril schmalen Lenden, die vom körpernah geschnittenen Rohleinen-Blouson noch betont werden, ein schmuckes mit Edelweiß-Symbolik bedrucktes, rotes oder grünes Halstüchl ziert keck den feisten Nacken des Landmannes und die Hirschknöpfe röhren begehrlich. Der Fuß im grob genähten Haferlschuh mit der griffigen Wibram-Sohle steht fest und zuverlässig da, während muskulöse, strapazfähige Männerunterarme, die Landsmännin während ihres Tanzes festhalten.

Insgesamt signalisiert das Trachtenpärchen, Sesshaftigkeit, Erdverbundenheit und bei aller latenten Paarungsbereitschaft, unerschütterliches Gottvertrauen. Auch die Damen und Herren aus Wirtschaft und Aristokratie hüllten sich schon immer - und jetzt deutlich vermehrt - in elegant modisch betonte Tracht und tummeln sich in Salonsteirer und Raiffeisensmoking auf Festspielen, Gourmet-Empfängen, Weinverkostungen und immer wieder auf Wohltätigkeits-Galas.

Mit Tracht ist man immer richtig angezogen, wird gesagt. Der trächtige Look feiert muntere Urständ! Umso mehr als die Manager der volksnahen Unterhaltungsindustrie verbindlich und profiterschleichend erklärt haben: "Tracht ist ideologiefrei." Wozu zu sagen ist: Die Arbeitskleidung linker Vordenker ist die Tracht nie gewesen. Wie auch immer: In den großen Stoff Heimat ist ein kleines Universum hineinverwebt und wenn man etwas Verbindendes sagen möchte, dann - mit Vorbehalt - das: "Heimat ist, wo Eintracht herrscht."