Diester Stiefel über den Milliardär
Camillo Castiglioni
Camillo Castiglioni, Rabbinersohn aus dem altösterreichischen Triest, war eine Figur von kolportageromanhafter Widersprüchlichkeit: Konjunkturritter und Korruptionist, Kulturmäzen und Profithai, Tizian-Sammler und Defraudant von Graden, jüdischer Faschistenfreund, Weltkriegsgewinnler und Sponsor der antisemtischen Rechten in Österreich.
8. April 2017, 21:58
Der Wiener Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel hat sich viele Jahre lang mit dieser vielleicht schillerndsten Gestalt der österreichischen Wirtschaftsgeschichte auseinandergesetzt. "Castiglioni ist ohne Zweifel eine historische Figur", sagt Dieter Stiefel. "Er hat überall seine Finger drinnen gehabt, ob das die Politik war, die Industrie, die Banken, die Kunst, der Journalismus, er war in allen Gebieten involviert, man findet eigentlich in jedem Archiv weltweit ein bisschen was über ihn. Aber er ist natürlich sehr schwer zu greifen."
Aufstieg mit Spekulationen
Der Aufstieg Camillo Castiglionis zu einem der reichsten Männer Europas beginnt mit diversen - heute würde man sagen: Management-Jobs in der "Österreichisch-amerikanischen Gummiwarenfabrik" in Wien. 1909 entdeckt er seine Begeisterung für die Luftfahrt, er legt die Ballonfahrerprüfung ab und beginnt in Luftfahrtprojekte zu investieren, wie Dieter Stiefel erläutert:
"Castiglioni beginnt mit Spekulation und wird damit einigermaßen wohlhabend, und dann hilft ihm der Erste Weltkrieg. Im Ersten Weltkrieg wird er Industrieller. Er fasst tatsächlich die österreichische Luftfahrtindustrie zusammen - die gab's damals -, und er fasst auch die Automobilindustrie zusammen. Er hat mit Leuten wie Porsche zusammengearbeitet und war lange Zeit Eigentümer von BMW. Also, er ist da wirklich zum Industriellen geworden, wobei er es insofern leicht hatte, als das Militär ein großzügiger Auftraggeber war. Und erst, als der Erste Weltkrieg vorbei ist und die große Inflation beginnt, kommt er auf den Gedanken, den heute ja wieder viele haben, dass man nicht unbedingt Geld in die Produktion stecken muss, sondern dass man Geld mit Geld machen kann. Und da geht er dann in Börsen- und Devisengeschäfte und so fort und so fort, und da baut sich dann ein riesiges, zum Teil Scheinvermögen auf, so wie das auch heute ist."
Habitus eines Parvenus
Nach dem Zerfall der Monarchie schlägt sich Castiglioni auf die Seite der Sieger: Er erlangt die italienische Staatsbürgerschaft, behält seinen Lebensmittelpunkt aber in Wien, wie Dieter Stiefel erläutert: "Er ist in den frühen 1920er Jahren einer der reichsten Männer Europas gewesen. Und das, indem er auf durchaus skrupellose Art und Weise die Inflation ausgenutzt hat und dadurch, mit Schulden und Gegenschulden, immer reicher geworden ist."
Im Wien der 1920er Jahre war Camillo Castiglioni eine berühmt-berüchtigte Figur, Feindbild der Linken ebenso wie der antisemitischen Rechten. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass der milliardenschwere Emporkömmling den typenspezifischen Habitus des Parvenus an den Tag legte:
"Er hat versucht, ein Haus zu gründen. So wie es das 'Haus Habsburg' gab, sollte es auch das 'Haus Castiglioni' geben", so Stiefel. "Dafür hat er natürlich Repräsentationsräume benötigt. Er hat in der Prinz-Eugen-Straße ein Palais gekauft, aus den 1880er Jahren, und das mit edelsten Kunstwerken ausstaffiert. Dort wurden große Feste gefeiert. Er hat am Grundlsee eine schöne Villa gekauft, die heute einem Perchtoldsdorfer Unternehmer gehört, das war ein sommerliches Repräsentationszentrum. Und er hat vor allen Dingen das Theater unterstützt: Er hat das Theater in der Josefstadt gekauft, restauriert und immer wieder finanziell unterstützt, und zwar über 30 Jahre hinweg, in denen er Eigentümer des Theaters gewesen ist. Und er hat Max Reinhardt am Anfang ermöglicht, dass er die Salzburger Festspiele ins Leben ruft. Es gab sogar am Mozarteum einen 'Castiglioni-Saal', der allerdings heute nicht mehr so heißt, weil man sich nicht mehr so gerne daran erinnert."
In der Politik mitgemischt
Dass Camillo Castiglioni in seiner kontradiktorischen Farbigkeit auch auf seinen Biografen eine gewisse Faszination ausübt, ist Dieter Stiefels Lebensbeschreibung des Milliardenjongleurs deutlich anzumerken:
"Wenn Sie eine Biografie über eine Person schreiben, so ist das, glaube ich, sehr schwer, wenn Sie die Person nicht mögen. Auf der einen Seite ist er ständig an die Grenzen des Möglichen gegangen, wie das im Finanzbereich durchaus üblich ist, aber er hat diese Grenze auch oft überschritten ins Kriminelle hinein. Auf der anderen Seite ist er natürlich ein barocker Typ, er hat das Theater geliebt, er hat die Politik geliebt, er wollte sich selbst darstellen, er hat etwa den Salonwagen des Kaisers Franz Joseph gekauft und ihn bei der Bundesbahn anhängen zu lassen, um dort zu residieren. Also, er ist nicht auf dem Geld gesessen, er hat es in großem Stil ausgegeben. Und das macht ihn eigentlich schon zu einer faszinierenden Person."
Im politischen Geschehen der Ersten Republik hat Camillo Castiglioni nach Kräften mitgemischt. "Castiglioni ist sicherlich auf der bürgerlich-adeligen Seite gestanden", meint Stiefel. "Wobei es das permanente Gerücht gab, dass er die Christlich-Soziale Partei mit großzügigen Wahlkampfspenden unterstützt hat. Die waren aber damals so geschickt, dass das bis heute nicht zu belegen ist. Die waren irgendwie besser in dieser Hinsicht als heute - was dazu geführt hat, dass kein Ministerium, auch nicht das Justizministerium, gegen ihn vorgegangen ist. Er hat Steuerschulden gehabt, die über viele Jahre gingen, und sein Akt ist dann irgendwann aus unerklärlichen Gründen verschwunden."
Ein Stück Wirtschaftsgeschichte
Auch wenn der - wie heißt es so schön? - gelernte Österreicher gewisse Parallelen zum Heute zu ziehen geneigt ist: Dieter Stiefel warnt davor, allzu plumpe Analogien zwischen den 1920er Jahren und dem Heute herzustellen. Stiefel ortet beträchtliche Unterschiede:
"Castiglioni wäre, wenn man die Spekulation nimmt, heute irgendein großes Pensionsversicherungs-Unternehmen oder ein Trust. Es gibt zunehmend weniger Einzelpersonen, die imstande sind, in diesen Dimensionen an der Börse zu spielen. Aber das Prinzip ist, glaube ich, das Gleiche: zu versuchen, letztendlich auf Kosten der anderen, auf Kosten der Bevölkerung reich zu werden. Nehmen Sie etwa heute, was sicher problematisch ist, die Spekulation mit Lebensmitteln: Da werden einzelne Gruppen sehr, sehr wohlhabend, auf der anderen Seite steigt der Hunger. Das Wesentliche ist schon die völlige Skrupellosigkeit, die da dazugehört."
Es ist ein saftiges, aber auch ein beunruhigendes Stück Wirtschaftsgeschichte, das Dieter Stiefel da mit seiner Castiglioni-Biografie kredenzt. Der wissenschaftliche Aplomb des Autors und ein fachunspezifischer Sinn für gschmackige Anekdoten machen den Band zu einer lohnenden und über weite Strecken auch amüsanten Lektüre.
Service
Dieter Stiefel, "Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische", Böhlau-Verlag
Böhlau - Camillo Castiglioni