Was hinter den Vorurteilen steckt

Arme Roma, böse Zigeuner

Es war bezeichnend, dass die Einweihung des Mahnmals für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin von Protesten begleitet wurde. Aktivisten protestierten gegen die andauernde Abschiebung von Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in Berlin geboren wurden und die Stadt als ihre Heimat betrachten.

Der gängige doppelte Umgang mit den Sinti und Roma - Mitleid einerseits, Verachtung andererseits - spiegelt sich auch im Titel des neuen Buches "Arme Roma, böse Zigeuner", wie der in Graz lebende Autor Norbert Mappes-Niediek erläutert:

"Ich würde sagen, das sind zwei Seiten einer Sicht auf diese Bevölkerungsgruppe. Die einen sagen: 'Die tun uns leid, die sind arm und das ist eine Volksgruppe.' Die anderen sagen: 'Das ist böses, kriminelles, umherziehendes Gesindel.' Und oft sind beide Sichtweisen auch in einem Kopf vereint".

Vorurteile abbauen

Der langjährige Balkan-Korrespondent der "Frankfurter Rundschau", Norbert Mappes-Niediek, beantwortet gängige Fragen über die größte und dennoch weitgehend unbekannte Minderheit in Europa. Sind die Roma eine Nation oder eine soziale Unterschicht? Wollen sie sich anpassen? Sind sie ein Problem oder haben sie eines? Vor allem geht es ihm darum, durch Fakten Vorurteile abzubauen, zum Beispiel, dass die Roma faul seien und daher arm sind.

Geringe Kriminalitätsrate

Beeindruckend zerstreut Norbert Mappes-Niediek auch die Legende, die Roma seien besonders kriminell. In keinem europäischen Land würde die Kriminalitätsstatistik nach der "Volksgruppe" oder der Muttersprache differenziert. Mag sein, dass sie überdurchschnittlich in Trickdiebstähle involviert sind, was typisch für Armutsgesellschaften ist. Gewaltverbrechen kommen bei ihnen aber kaum vor, wie der Autor, entgegen seinen eigenen Vorurteilen, an eigener Haut erfahren hat:

"Wie überhaupt in diesen großen Roma-Vierteln, in diesen richtigen Slums, die einen an die brasilianischen Favelas erinnern können oder den südafrikanischen Townships, da herrscht eine kaum vorstellbare Sicherheit. Ich bin in allen diesen Vierteln inzwischen gewesen und mir ist nie etwas passiert - weder hat man mir jemand etwas gestohlen, noch ist irgendjemand aggressiv gewesen. Und das ist schon erstaunlich".

Als Gastarbeiter in Deutschland

Eine Ursache für den schlechten Ruf der Roma ist, dass es in 70 Prozent der Zeitungsberichte in Zusammenhang mit ihnen um Kriminalität geht, so eine Untersuchung. Ein Grund dafür ist, dass gut integrierte, erfolgreiche Roma ihre ethnische Herkunft verschleiern, gerade um Diskriminierungen zu entgehen. Bis 1991 gaben sich die Roma-Gastarbeiter aus Jugoslawien als "Jugoslawen" aus, danach als Serben, Mazedonier oder Bosnier zum Beispiel. Ihre Nationalität mussten sie bei der Einreise ohnehin nicht angeben, nur ihre Staatsangehörigkeit. Ihre Tradition pflegten sie ausschließlich in der Familie, nicht in Kulturvereinen oder an öffentlichen Kultstätten, und daher blieb sie für die Mehrheitsgesellschaft unsichtbar.

"Seit den 60er Jahren sind wahrscheinlich Zehntausende Roma aus Mazedonien und auch aus Serbien als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen", meint Mappes-Niediek. "Und die teilen eigentlich mit allen jugoslawischen Gastarbeitern einen Integrationsgrad, der sie aus allen anderen Gastarbeiter-Gemeinschaften heraushebt. Die Jugoslawen waren immer überall am besten integriert. Sie hatten die meisten gemischten Ehen mit Deutschen, sie hatten die höchsten Abiturientenraten von allen Zuwanderergruppen, höher übrigens als die Italiener, und dazu gehörten auch die Roma, das sind die Gastarbeiter-Roma."

Die Roma sind keine Nomaden, dennoch fliehen sie vor der Armut, Diskriminierung und Gewalt in Osteuropa, wo sie ein nützlicher Sündenbock sind. Die Rumänen, die 90 Prozent der Bevölkerung im eigenen Lande darstellen, befürchten, man würde sie mit den Roma verwechseln, die rund drei Prozent der Einwohner ausmachen.

Ethnische Diskriminierung in der EU

Die Roma fliehen nach Italien, Deutschland und Österreich. Sie sind nicht die einzigen, wie Norbert Mappes-Niediek zeigt: Rund zwei Millionen Rumänen leben in Westeuropa, die meisten von ihnen sind keine Roma.

Seit Jahren fördert die EU unzählige Hilfsprojekte für die Roma in Mittel- und Osteuropa, was ihre Situation aber nicht verbessert. Den Umgang westlicher Demokratien mit Roma-Flüchtlingen aus osteuropäischen EU-Staaten kritisiert der Autor als eklatant und gesetzeswidrig. Denn EU-Bürger kann man nicht abschieben, Roma aber anscheinend doch. Und zudem zwingt Deutschland Serbien und Mazedonien, Roma an der Ausreise nach Westen zu hindern.

"Die Staaten Serbien und Makedonien werden genötigt, Ausreisekontrollen durchzuführen", sagt Mappes-Niediek. "Es gibt in Makedonien einen Entwurf für einen Staatsrechtsparagraphen, der auch durchaus noch in der Debatte ist, der mit bis zu vier Jahren Haft bedroht, wenn jemand die Ausreise zum Erschleichen von Leistungen im Westen erleichtert.(...) Man kann als Busfahrer, als Reisebürounternehmen, eigentlich nur gucken, wer ist da Roma, wer hat eine dunkle Gesichtsfarbe, wer sieht mit seinen Turnschuhen, mit seinen abgewetzten, so aus, als ob er zu den Roma gehören würde, und er kriegt keine Fahrkarte. Das ist Diskriminierung, ethnische Diskriminierung, und die wird Mazedonien dann beim nächsten EU-Fortschrittsbericht als Verletzung der Kopenhagener Kriterien ausgelegt."

"Dramatische Entwicklung"

Wenn in Deutschland die Visumfreiheit für Serbien und Mazedonien wegen der Roma wieder aufgehoben würde, wird der Hass gegen die Roma sprunghaft ansteigen, stellt der Autor fest. Dass dann noch mehr Roma die Flucht in den Westen ergreifen würden, scheint realistisch.

"Es hat seit der Wende tatsächlich eine dramatische Entwicklung gegeben", so Mappes-Niediek. "Was ein sehr großes Problem ist, ist, dass der öffentliche Nahverkehr teils ausgefallen ist, dass viele Orte, Dörfer überhaupt nicht mehr von Bussen angefahren werden und dass deswegen auch niemand außerhalb zu seinem Arbeitsplatz kann. Dann kann man auch Kinder nicht auf weiterführende Schulen schicken. Das ist entweder gar nicht da, dieser Dienst, oder er ist zu teuer."

Um die Flucht der Roma in die EU einzudämmen und den Roma auf dem Balkan zu helfen, müsse die EU keine Roma-Politik betreiben, meint Norbert Mappes-Niediek, sondern vielmehr die Armut in Osteuropa durch ein langfristiges Programm reduzieren. Dies sei aber viel schwieriger und vor allem teurer. Das Geheimnis der Armut sei jedenfalls nicht bei den Roma zu finden, ist sein Fazit.

"Arme Roma, böse Zigeuner" ist ein sehr lesenswertes Buch, das viele Klischees zerstreut und sehr bildhaft und poetisch das Leben in den Roma-Siedlungen beschreibt.

Service

Norbert Mappes-Niediek, "Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt", Ch. Links Verlag

Ch. Links Verlag - Arme Roma, böse Zigeuner