Warschauer Kunstszene
Die Kunstszene in Warschau ist in den letzten Jahren aufgelebt - die mangelnde freie und kommerzielle kulturelle Infrastruktur während des Kommunismus wurde dank des Engagements junger, international erfahrener Kulturschaffender aufgebaut. Paradox erscheint in diesem Hinblick, dass das Museum für Moderne Kunst über kein eigenes Ausstellungsgebäude verfügt.
8. April 2017, 21:58
Seit Jahren ist der Neubau in Planung, die Umsetzung ist jedoch wiederholt an der Kulturpolitik gescheitert.
In einer spärlich beleuchteten Seitengasse in der Innenstadt von Warschau befindet sich die Raster Galerie, wo gerade eine Einzelausstellung von Zbigniew Libera eröffnet wird. Der Künstler erlangte Mitte der 1990er Jahre Berühmtheit mit seinem Lego-Baumodell eines Konzentrationslagers, das international heftig diskutiert und unlängst vom Museum Moderner Kunst in Warschau angekauft wurde.
In seiner aktuellen Ausstellung in der Raster Galerie präsentiert der kontroversielle Künstler Fotografien gestellter Szenen: "Ich möchte genau solche Szenen zeigen, die man im realen Leben nicht zu sehen bekommt. Das sind eindeutig Inszenierungen – und vielleicht sind sie noch realer, als die vorgeblich ungestellten Bilder, die wir von den Medien als Realität verkauft bekommen."
Aufbau der Infrastruktur
Eines der Bilder etwa zeigt ein nächtliches Gelage am Lagerfeuer: ein Moslem, ein Jude und ein Rastafari feiern ausgelassen und in seliger Einigkeit. Das Bild heißt "The first day of freedom”, der erste Tag der Freiheit. Zbigniew Libera stellt ein utopisches Gedankenspiel an: die Befreiung von stereotypischen Vorstellungen und identitätsstiftenden Symbolen.
Die Raster Galerie ist eine der wichtigsten privaten Institutionen für Gegenwartskunst in Warschau. Gegründet wurde sie vor über zehn Jahren, als es in dem Bereich noch kaum eine Infrastruktur gab. Diese mit aufzubauen ist ein Verdienst von Lukasz Gorczyca, einem der beiden Kuratoren der Raster Galerie: "Kommerzielle Galerien gab es im kommunistischen Polen nicht – diesen Mangel wollten wir kompensieren. Das ist uns gelungen in den letzten Jahren. Aber wir wollen noch mehr: nämlich das Format der Verkaufsgalerie weiterdenken. Wir beschränken uns daher nicht auf die Bildende Kunst, sondern sind ein Buchverlag und versuchen Musik, Literatur und andere Formen der Kulturproduktion zusammenzubringen."
Die Früchte der Aufbauarbeit
Lukasz Gorczyca spricht von einer glücklichen Situation für die Kunst in Polen: sowohl Museen als auch Sammler machen Ankäufe – ein Entwicklung, die erst in den letzten Jahren in Schwung gekommen ist und das Überleben der Galerien ermöglicht.
Die Aufbauarbeit, die die Raster Galerie mitgeleistet hat, trägt Früchte. Zahlreiche kleine Galerien mit ambitioniertem Programm haben in letzter Zeit aufgemacht, und sie tragen zu einer Belebung der Szene bei. Eine dieser Neustarterinnen ist Marta Kovakovska mit ihrer Leto Galerie: "Jetzt ist die beste Zeit für uns. Vor zehn Jahren, als Galerien wie Raster gegründet wurden, konzentrierten sie sich viel mehr aufs Ausland, da es hier ja keinen Kunstmarkt gab.
Die polnischen Künstler hatten international Erfolg, und es brauchte Orte hier, wo auch die jungen ausstellen konnten. Diese Künstler, mit denen wir seit Beginn gearbeitet haben, werden mittlerweile auch international wahrgenommen – wir sind sozusagen zusammen aufgewachsen. Wir sind stolz darauf, gemeinsam etwas aufgebaut zu haben."
Soho in Praga
Die Leto Galerie befindet sich in Soho. Das ist ein ehemaliges Industriegelände, das von einer Investment-Firma aufgekauft wurde. Die leerstehenden Lager und Fertigungshallen wurden jungen Kreativen zur Verfügung gestellt: Architekten, Ateliers, Galerien, Magazinherausgeber. Die temporäre Nutzung durch die sogenannte Kreativwirtschaft ist eine – in vielen Großstädten erprobte – Strategie zur Aufwertung von Immobilien.
Marta Kovakovska findet die Abmachung mit den Vermietern vorteilhaft: Sie ist darauf eingestellt, demnächst wieder wegzuziehen, und die Miete ist moderat. Außerdem wurden die Räume ihrer Vorstellung entsprechend architektonisch adaptiert, ein Gästezimmer wurde eingebaut – auf Kosten der Vermieter.
Das Areal wird nach ersten Anlaufschwierigkeiten vom Warschauer Publikum angenommen – obwohl es im Stadtteil Praga liegt, auf der anderen Seite der Weichsel, die als urbane Trennlinie wahrgenommen wird, sagt Marta Kovakovska.
Post-sozialistisches Stadtbild
Auf der anderen Seite des Flusses, im Zentrum von Warschau, steht der mächtige Kulturpalast, das ungeliebte Wahrzeichen der Stadt. Der stalinistische Prunkbau aus den 1950er Jahren war lange das höchste Bauwerk weit und breit – in den letzten Jahren sind zahlreiche Wolkenkratzer in unmittelbarer Nähe entstanden, die das Stadtbild des neuen Warschau dominieren.
In einem ehemaligen Möbelgeschäft aus den 70er Jahren, das inmitten der Investoren-Architektur steht, ist derzeit das Museum für Moderne Kunst untergebracht.
Joanna Mytkowska, die Direktorin des Museums für Moderne Kunst, schätzt die moderne, leichte Bauweise des ehemaligen Emilia-Möbelhauses. Wie lange das Museum hier bleiben kann, ist ungewiss. Um die Sammlung präsentieren zu können, müssten die Räume adaptiert werden.
Für die erste Ausstellung hier hat man auf dokumentarisches Material zurückgegriffen, um Originale nicht zu gefährden. Die Ausstellung findet begleitend zum Festival "Warsaw under construction” statt, einem mehrwöchigen Festival, in dem es um urbane Transformationen geht. Lukasz Fulada, der Kurator, behandelt das Thema der visuellen Erscheinung der Stadt anhand der Werbung.
Visuelle Verschmutzung
Die Werbung hat das Stadtbild immer geprägt, meint Fulada. Visuell verschmutzt sei Warschau derzeit durch die fassadengroßen Transparente und leuchtenden Billboards. Er sieht einen Zusammenhang dieses Werbe-Wildwuchses mit der ungezügelten Stadtplanung: "Diese Stadt ist eine Collage aus vielen architektonischen Stilen und Perioden. Genau jetzt kommt zum Tragen, dass es in den 1990er Jahren keine effiziente Stadtplanung gab. Die Zersiedelung und die Ausweitung der Randgebiete ging unkontrolliert voran. Es sind Wohngebiete entstanden, die vom Zentrum weit entfernt und ans öffentliche Verkehrsnetz nicht angebunden sind. Daher ist der Autoverkehr rasant gewachsen. Diese Planungsfehler der 1990er Jahre wirken sich heute verheerend aus."
Sich mit der Stadt und mit gesellschaftlichen Transformationen zu beschäftigen sieht die Leiterin des Museums für Moderne Kunst Warschau, Joanna Mytkowska, als Hauptaufgabe ihrer Institution. Das 2005 gegründete Museum ist in der außergewöhnlichen Lage, über kein Ausstellungsgebäude zu verfügen.
Nach zwei Architekturwettbewerben für einen Bauplatz angrenzend an den stalinistischen Kulturpalast, wurde der Neubau vor einigen Monaten überraschend abgesagt – der Architekt, ein Schweizer, und die polnischen Kulturpolitiker wurden nicht einig.
Ständig zu improvisieren und sich für jedes Projekt neue Strategien auszudenken, das ist für die Direktorin des Museums ohne Museum in den letzten Jahren zum Alltag geworden. Die Farce rund um den Neubau, der seit Jahren verzögert wird, sei der polnischen Kulturpolitik zuzuschreiben, sagt sie.
Wenn das Museum nicht gebaut wird, ist die Politik gescheitert. Dieser direkte Zusammenhang verleiht dem Bestehen und dem Programm des Museums für Moderne Kunst in Warschau eine Dringlichkeit – und er sorgt für große öffentliche Aufmerksamkeit. Die aktuelle Ausstellung wurde allein am Eröffnungswochenende von 2.000 Menschen besucht, und die Entwicklungen rund um den Neubau werden – auch außerhalb der Kunstszene – kritisch beobachtet.
"Das Gerangel um den Neubau zeigt den Zustand der Modernisierung in Polen, der noch zu wünschen übrig lässt", so Mytkowska, "Die Diskussionen, die wir mit unserem Programm begleiten und initiieren, drehen sich um die Frage, wie die Modernisierung ausgerichtet sein soll. Geht es nur um die Infrastruktur, die technokratische Veränderung, oder um einen Wandel der Mentalität? Für diesen gesellschaftlichen Diskurs ist das Museum wichtig."
Permanenter Dauerzustand
Das Museum für Moderne Kunst hat in den letzten Jahren gelernt, aus der Not eine Tugend zu machen. Flexibler und kreativer als vergleichbare Museen in anderen Städten reagieren die Kuratoren auf Herausforderungen, die sich aus der notorischen Ortlosigkeit ergeben.
Gleichwertig mit Künstlerinnen und Künstlern werden dabei Aktivisten und Bürgerorganisationen in das Programm eingebunden. Zurecht begreift sich das Museum als Institution, die die Kulturproduktion von Warschau mitbestimmt – gemeinsam mit den kleinen Galerien und Künstlerinitiativen der polnischen Hauptstadt.