Wie wir von der neuen Arbeitswelt profitieren
Job Future - Future Jobs
Die Menschen arbeiten alleine, ausschließlich vor dem Computer. Es gibt keine durchgehende Beschäftigung, sondern nur mehr Projektarbeit. So ähnlich könnte die Zukunft der Arbeit aussehen, für manche sind diese Entwicklungen schon heute berufliche Realität.
8. April 2017, 21:58
Doch die zukünftige Arbeitswelt nur negativ zu sehen, wäre ein Fehler, betont die Autorin Lynda Gratton. In ihrem Buch "Job Future - Future Jobs" zeigt sie die Chancen und Herausforderungen auf, die das Berufsleben in den nächsten Jahren mit sich bringen wird.
Die Zukunft hat schon begonnen
Der Ausgangspunkt von Lynda Grattons Buch über die "Zukunft der Arbeit" war ein Gespräch am Frühstückstisch. Ihr 17-jähriger Sohn hatte gerade seine Schulausbildung beendet und verkündete, er wolle Journalist werden. Obwohl sie sich als Professorin an der London Business School und als Unternehmensberaterin seit Jahrzehnten mit Management- und Arbeitsfragen beschäftigt, konnte Lynda Gratton ihrem Sohn nicht beantworten, ob sein Berufswunsch zukunftsträchtig sei.
Angespornt von diesem privaten Dilemma gründete sie den internationalen Forschungsverbund "Future of work". Gemeinsam mit Kollegen aus Wissenschaft und Wirtschaft machte sie sich 2009 auf die Suche nach der Zukunft der Arbeit. Die Ergebnisse präsentiert sie in ihrem Buch "Job Future - Future Jobs. Wie wir von der neuen Arbeitswelt profitieren". Die deutsche Übersetzung klingt nach einem Selbsthilfebuch, im englischen Original wird die Absicht deutlicher: "The Shift - The Future of work is already here". Viele Aspekte, die unsere Arbeitswelt in Zukunft prägen werden, sind im Ansatz bereits vorhanden.
"Die Einflüsse, die unsere Welt geformt haben, kommen aus der technologischen Entwicklung", sagt Gratton. "Die Tatsache, dass es heute Milliarden vernetzter Menschen gibt und die Globalisierung - genauer gesagt: der Aufschwung asiatischer Märkte - haben in den letzten Jahren unsere Arbeitsweisen massiv beeinflusst. Die Technologie hat viele Jobs ausgehöhlt, die ursprünglich Menschen machten. Und die Globalisierung hat dazu geführt, dass wir weltweit mit anderen um Jobs konkurrieren. Die positiven und negativen Aspekte dieser Entwicklung werden sich in den kommenden fünf, sechs Jahren verstärken."
Negatives Szenario
Neben der technologischen Entwicklung und der Globalisierung zählt Lynda Gratton die demographische Entwicklung, gesellschaftliche Veränderungen und knappe Energieressourcen zu den bestimmenden Zukunftsfaktoren. Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Doch Lynda Gratton wendet sie gezielt auf die Berufswelt an und entwirft in ihrem Buch zwei Szenarien für das Jahr 2025: "Die vorgezeichnete Zukunft" als mögliche negative Entwicklung und "Die gestaltete Zukunft" als denkbaren positiven Verlauf.
Im negativen Szenario nimmt die soziale Mobilität weltweit ab. Die schlecht ausgebildete Unterschicht hat keine Chance, auf einem globalisierten Arbeitsmarkt Erfolg zu haben. Diejenigen, die 2025 einen Job haben, sind mit sozialer Isolation konfrontiert. Ausbildung oder Beruf haben sie an Orte ohne familiären Anschluss gebracht. Gearbeitet und kommuniziert wird fast ausschließlich über den Computer. Und weil die Menschen rund um die Uhr erreichbar sind, zersplittert die Arbeitszeit wie die Freizeit. Eine Entwicklung, die sich schon seit einigen Jahren abzeichnet.
"Als wir begonnen haben, mit dem Handy unseren Beruf mit nach Hause zu nehmen bzw. dort unsere Computer benutzt haben, hat sich die Arbeit grundlegend verändert", meint Gratton. "Sie hat sich zersplittert, weil Kommunikationstechnologien uns und andere permanent erreichbar machen. Wenn wir wollen, können wir unsere E-Mails alle drei Minuten checken. Und wissen Sie was, viele Leute machen das auch. Dadurch hat sich die Zeit, die wir einer Aufgabe am Stück widmen können, reduziert. Das tut den Menschen nicht gut. Wir brauchen Zeit, um nachzudenken, um uns zu konzentrieren und um Ideen zu entwickeln. Und die andauernde Zerstückelung unserer Arbeit ist dabei keine gute Sache."
Positives Szenario
Aus den Daten ihres Forschungsverbunds entwickelte Lynda Gratton auch ein positives Szenario für das Jahr 2025: Das Internet ermöglicht den Menschen, Ideen weltweit schnell und effizient auszutauschen. Kleinstbetriebe werden für die Weltwirtschaft immer wichtiger werden, denn durch die globale Vernetzung hat auch das Mikrounternehmertum Zugang zu Geldmitteln, Innovationen und internationalen Märkten. Und: die Arbeitswelt der Zukunft fördert Solidarität und soziales Engagement.
Schon heute zeigen Studien, dass lange Arbeitszeiten und permanente Überstunden die Kreativität und Schaffenskraft der Arbeitnehmer eher reduzieren als steigern. Gleichzeitig nimmt die Zeit, in der man sich in die Gemeinschaft einbringen kann, laufend ab. Da die Menschen immer älter werden, muss die Lebensarbeitszeit in Zukunft auf eine größere Zeitspanne verteilt werden.
"Ich habe bereits in zahlreichen Büchern darüber geschrieben, dass wir unser Tempo drosseln müssen", sagt Gratton. "Wenn man davon ausgeht, mit 56 oder 58 in Pension zu gehen, dann nimmt man das Leben als Sprint wahr, man läuft so schnell es geht. Aber wenn man bis in die 70er hinein arbeitet, dann wird das Leben eher zu einem Marathon. Es ist also eine Frage des Tempos. Wir müssen lernen, mit unserer Energie hauszuhalten und Zeit finden, uns weiterzubilden. Es ist für uns alle entscheidend, 'aktive Lerner' zu bleiben, unabhängig vom Alter."
Um diese positive Wende in die Zukunft einzuleiten, braucht es laut Lynda Gratton eine Neuorientierung innerhalb der Arbeitswelt. Nicht wettbewerbsorientierte Einzelkämpfer, sondern innovative Brückenbauer werden den Personalmarkt bestimmen. Unternehmen, Regierungen, Ausbildungsstätten und NGOs müssen zusammenarbeiten, um aktuelle Probleme wie wachsende Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.
"Deswegen liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Singapur selten über sechs Prozent", meint Gratton. "Dort gibt es Partnerschaften zwischen den einzelnen Institutionen, die nicht wettbewerbsorientiert sind, sondern gemeinschaftlich. Wettbewerb bedeutet, es muss einen Gewinner und einen Verlierer geben. In einer vernetzten Welt kann dieser Verlierer auch nebenan wohnen. Dem kann man nicht entkommen. Deswegen sollten alle Menschen in einer positiven Weise beteiligt sein."
Wichtige Netzwerke
Eine weitere Erkenntnis aus Lynda Grattons Forschungsarbeit betrifft die Spezialisierung der Arbeitnehmer, die Zeit der Generalisten ist demnach vorbei. Es sei wichtig, sich auf ein Fachgebiet zu konzentrieren und "Meisterschaft" in diesem Bereich zu erlangen. Um nicht zum "Fachidioten" zu werden, also kreativ und innovativ zu bleiben, soll man sich in fachfremden wie facheigenen Netzwerken bewegen.
Diese Netzwerke sind auch wichtig, weil die selbstständige Arbeit in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird. Zu den zukunftsträchtigen Berufssparten zählt Lynda Gratton, wie viele andere, die Biowissenschaften, den Gesundheitsbereich, Pflegeberufe, alternative Energien und kreative Dienstleistungen. Der Journalismus gehört nicht dazu. Warum die Autorin ihrem Sohn dennoch nicht von dieser Berufssparte abrät? Weil er im Journalismus eine sinnvolle Tätigkeit sieht, von der er sich Wertschätzung erwartet. In Zukunft geht es nicht mehr um schnelles Geld, sondern um ein erfülltes Leben, ist Lynda Gratton überzeugt:
"Konsum und Identität müssen entkoppelt werden. Wir müssen also neue Grundlagen für unsere Identität schaffen. Diese Kausalkette - ich arbeite, dafür bekomme ich Geld, mit dem ich mir Dinge kaufen kann, die mich dann glücklich machen - die funktioniert nicht mehr. Also wenn es nicht um Konsum gehen darf, wofür sollte Arbeit dann stehen? Es sollte um die Erfahrungen selbst gehen. Aus der Arbeit selbst sollten wir Freude und Identität schöpfen können. Wir sollten über die Arbeit an sich nachdenken, und nicht Arbeit als ein Vehikel verstehen, das dann wieder etwas anderes hervorbringt."
Jeder seines Glückes Schmied
Viele von Lynda Grattons Thesen erscheinen auf den ersten Blick nicht neu. Doch ihr Buch "Job Future - Future Jobs" ist durchaus lesenswert. Es regt den Leser auf 368 Seiten dazu an, über die eigene Arbeitssituation nachzudenken, die eigenen beruflichen Schwerpunkte und Interesse zu hinterfragen.
Die Autorin gibt keine Ratschläge für eine steile Karriere. Sie fordert vielmehr dazu auf, das eigene Berufsleben erfüllend zu gestalten - eine Empfehlung, die nicht von der Hand zu weisen ist. Wenn wir in Zukunft über das 70. Lebensjahr hinaus arbeiten müssen, sollten wir eine Arbeit suchen, die uns wirklich Spaß macht.
Service
Lynda Gratton, "Job Future - Future Jobs. Wie wir von der neuen Arbeitswelt profitieren", übersetzt von Enrico Heinemann, Carl Hanser Verlag
Hanser - Job Future - Future Jobs