Minderheiten protestieren gegen Putin

Russland ist eine eigene Zivilisation, die sich vom Westen unterscheidet und eigene Wege gehen kann und will - etwa bei Demokratie und Menschenrechten. Diese These hat Wladimir Putin bei seiner Rede zur Lage der Nation am Mittwoch noch einmal betont. Nicht nur in Europa stößt er damit auf Misstrauen. Auch bei den vielen ethnischen Minderheiten in Russland läuten die Alarmglocken.

Mittagsjournal, 15.12.2012

Überarbeitung der Nationalitätenpolitik

"Kratze am Russen und der Tatare kommt zum Vorschein" - dieser Satz stammt von Alexander Puschkin, als das Imperium des Zaren ein Vielvölkerstaat war, ebenso wie später die Sowjetunion. Doch auch nach dem Zerfall der Union leben in Russland mehr als hundert verschiedene Völker, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Viele von ihnen leben in autonomen Republiken, Kreisen und Gebieten, in denen ihre Sprachen dem Russischen offiziell gleichgestellt sind - etwa die Tataren, Baschkiren, Tschetschenen, Mordwiner - um nur einige zu nennen. Damit könnte bald Schluss sein. Gleich nach seinem Amtsantritt ordnete Wladimir Putin eine Überarbeitung der Nationalitätenpolitik an. Nach dem, was man bisher weiß, bedeute das für die Minderheiten nichts Gutes meint der tatarische Historiker Rafel Muchametdinov: "Schon vor zwei Jahren hat das Zentrum verboten, dass die Schulabschlussprüfungen in den nationalen Republiken in den Minderheitensprachen abgelegt werden, jetzt gilt nur mehr Russisch. Das führt natürlich dazu, dass die Eltern ihre Kinder jetzt in die russisch-sprachigen Schulen geben, weil sie nicht wollen, dass sie bei den Prüfungen schlechter abschneiden."

"Assimilierung der nicht-russischen Völker"

Geredet wird darüber, dass die autonomen Republiken überhaupt abgeschafft werden könnten. Das sei der Tod für die Institutionen der Minderheiten, etwa die Tatarische Akademie in Tatarstan, die dann kein staatliches Geld mehr bekommen würden, warnt Muchametdinov. Russland heißt offiziell "Russländische Föderation". "Russländische" also "Rossisiki" bedeutet dabei etwas anderes als "Russki" - ethnisch Russisch: "An die Stelle eines multi-nationalen Russländischen Volkes soll in der Verfassung eine Volk mit russischer Kultur, einer russischen Zivilisation treten. Das geht ganz offen in Richtung Assimilierung der nicht-russischen Völker!"

Erste Kundgebungen

Bei den sozialen Eliten der Minderheiten wachse der Protest gegen diese Maßnahmen, auch bei den religiösen Führern: Die meisten Minderheiten sind Muslime. Sie verfolgen schon länger mit Argwohn das immer engere Bündnis zwischen Kreml und der orthodoxen Kirche. Nationalismus und Xenophobie spielen in der Gesellschaft eine immer größere Rolle. "Russland ist heute schwach. Und die zentrale Führung, die ja überwiegend aus ethnischen Russen besteht, ist von der Stärke ihres Staates selbst nicht überzeugt. Sie spüren, dass ihre Titanic sich kaum mehr über Wasser hält, und fürchten, dass sie sinkt, wenn die autonomen Republiken abfallen", sagt der tatarische Historiker Rafael Muchametdinov. Die Minderheiten würden sich eine solche Politik nicht gefallen lassen. In Tatarstan und dem benachbarten Baschkartostan ist es bereits zu ersten, wenn auch nur kleinen, Protestkundgebungen gekommen.