Eine Theaterreise von und mit Gert Voss

Ich bin kein Papagei

Seine erste Liebe galt nicht dem Theater, sie galt dem Film. Schon die Namen der Kinos schienen unwiderstehlich. Sie hießen "Crystal Palace" oder "Star", "Carlton" oder "Nanking". Die Karriere des kleinen Gert, der damals übrigens noch Peter hieß, begann in den Kinos von Shanghai.

Dort, in der pulsierenden chinesischen Metropole, wurde Gert Voss 1941 geboren. Schon seine Großeltern hatten beinahe ihr ganzes Leben in China verbracht, und auch Gert Voss' Vater war bereits als junger Mann nach Shanghai gekommen, um sich eine Existenz als Kaufmann aufzubauen. Nach dem Ende des Krieges aber, als die Deutschen repatriiert und in Internierungslager gesteckt wurden, zog Gert Voss' Mutter mit ihrem Kleinen von einem Kino ins nächste, um sich und ihren Buben vor den Behörden zu verstecken. Gleichsam unbeabsichtigt sah der staunende Bub "Tarzan" und "Robin Hood", "Goldrausch" mit Charlie Chaplin und sogar deutsche Filme mit Willy Fritsch.

1948 schließlich musste die Familie zurück in ein wenig bekanntes und weitgehend zerstörtes Deutschland. Die monatelange Reise auf einem amerikanischen Kriegsschiff sollte sich als prägend erweisen. An Deck des Schiffes wurden nämlich ebenfalls Filme gezeigt, viele Filme. Vor allem Hollywoodfilme, Kriegsfilme und Western. Liebesfilme, sagt Gert Voss, interessierten ihn nicht. Auch Frauen fand er "nicht sonderlich interessant". Er wollte sich mit all den großen Helden identifizieren, mit John Wayne, William Holden, James Stewart und Gregory Peck.

Kaum in Deutschland angekommen, begann Gert Voss mit seinem jüngeren Bruder als Mitspieler, die gesehenen Filme nachzuspielen. Er spielte sämtliche Rollen, imitierte die Geräusche und sogar die Musik. Alsbald begann er, "eigene" Filme Bild für Bild auf Papierrollen zu zeichnen und aufzuführen. Lustig, so Voss, waren seine Geschichten freilich nie. Es sei ihm damals wichtig gewesen, seinen Bruder, der auch als Publikum herhalten musste, "zum Weinen zu bringen". Der junge Filmemacher vermied jedes Happy End. Denn wenn eine Geschichte gut ausgeht, meinte er, würde der Film "viel zu schnell vergessen".

Anlässlich seines 70. Geburtstages im Jahr 2011 hat Gert Voss im Styria-Verlag gemeinsam mit seiner Frau, der Germanistin und Dramaturgin Ursula Voss, unter dem Titel "Ich bin kein Papagei" seine "Theaterreise" herausgebracht. Eine berufliche Autobiografie, die den Werdegang des Buben aus Shanghai zum gefeierten Schauspieler dokumentiert. Der Weg war freilich lang und steinig. Schon der Vater wollte nicht, dass sein Ältester Schauspieler werde. Denn als Schauspieler "verdient man nichts", es sei denn, "man ist Gustav Gründgens". Doch der filmbegeisterte junge Mann ging seinen eigenen Weg. Er studierte Germanistik und Anglistik und nahm gleichzeitig privaten Schauspielunterricht. Um nicht ständig auf Peter Voss, den von O. W. Fischer in einem populären Kinofilm jener Jahre gespielten "Millionendieb", angesprochen zu werden, entschied er sich, seinen zweiten Vornamen Gert an die erste Stelle zu rücken.

Mit der Gelassenheit des erfolgreichen Schauspielers erzählt Gert Voss von seinen Anfängen in Konstanz und Braunschweig, er berichtet von frühen Höhenflügen in München, Stuttgart und in Bochum, er analysiert Stücke, gibt Einblick in den oft mühsamen Prozess der Erarbeitung von Rollen und schildert - manchmal anekdotisch und häufig amüsant - seine Begegnungen mit Claus Peymann, Peter Zadek, George Tabori oder Luc Bondy. Großen Raum nehmen die ersten Jahre in Wien ein. Er dachte, schreibt Voss, er sei hier auf dem "falschen Schiff".

Wien und seine Presse reagierten ablehnend und aggressiv auf die Invasion der "Deitschn". Seine Autoreifen wurden zerstochen, Drohbriefe kamen, Gert Voss wurde unter Polizeischutz gestellt. Bald aber hatten die Leistungen und das Können des "Deitschn" auch die Wiener/innen überzeugt. Seit 1998 ist Gert Voss, der Mann, der ebenso wandel- wie unverwechselbar ist und der im Laufe seiner Karriere nahezu alle großen Rollen spielte, Kammerschauspieler und seit 2009 Ehrenmitglied des Wiener Burgtheaters.

Gert Voss' "Theaterreise" ist, um Missverständnissen vorzubeugen, keines jener Bücher, in denen ein prominenter Schauspieler das Theater aus der Schlüssellochperspektive betrachtet. Denn Gert Voss ist - trotz seines komödiantischen Talents - ein Analytiker. Einer, der sich selbst und sein Theaterumfeld als Teil eines politischen und gesellschaftlichen Systems genauestens zu beobachten weiß. Seinen Beruf empfinde er als "einen Beruf der Täuschung". Und je mehr "Menschen-Wissen ein Schauspieler hat, desto reicher ist sein Spiel".

Den Titel "Ich bin kein Papagei" haben wir indirekt übrigens niemand Geringerem als Claus Peymann zu verdanken. Bei einer Probe zu Schillers Räuber war Peymann nicht zufrieden mit dem, was Gert Voss ihm anbot, und spielte ihm die Szene vor. Da Voss aber seinerseits nicht gut fand, was Peymann ihm vorspielte, meldete dieser Zweifel an. "Ich bin zwar kein Schauspieler", fauchte der genervte Regisseur und spätere Burgtheaterdirektor, "aber was ich mache, ist tausendmal besser als was Sie mir hier vorkrampfen." Voss verlor daraufhin die Beherrschung und schrie Peymann an: "Ich bin nicht Ihr Papagei!"