NS-Zeit: Holender kritisiert Philharmoniker

Nach der Kritik am Umgang des Vorstands der Wiener Philharmoniker mit der NS-Vergangenheit des weltberühmten Orchesters meldet sich jetzt der frühere Staatsoperndirektor Ioan Holender zu Wort. Er warnt die Verantwortlichen des Orchesters davor, historisch unangenehme Fakten zuzudecken. Für Holender ist jetzt auch die Regierung gefragt, mehr Transparenz zu schaffen. Dass es daran im Fall der Philharmoniker mangelt, bestätigen auch Historiker.

Mittagsjournal, 19.12.2012

Nationalsozialistische Kulturpolitik

Der Schweizer Musikwissenschaftler Fritz Trümpi hat sich mit großer Hartnäckigkeit und gegen viel Widerstand Zugang zum Archiv der Wiener Philharmoniker verschafft. Das Ergebnis ist ein 2011 erschienenes vielbeachtetes Buch über die dienende Rolle der Philharmoniker in der NS-Zeit. Doch Trümpis Forschungsergebnisse sucht man auf der Webseite des Orchesters vergeblich, wie der Historiker selbst kritisch anmerkt: "Natürlich ist das bedauerlich, dass nicht etwas mehr auf aktuelle Forschungsergebnisse bezogen wird, gerade in so einer Präsentation nach außen." Auf der Philharmoniker Homepage kann man zum Beispiel lesen, dass das Neujahrskonzert mit seinen Walzerklängen - erstmals aufgeführt am Silvestertag 1939 - eine Hommage an des untergegangene Österreich sei. Mitnichten, sagt Fritz Trümpi. Das Neujahrskonzert sei "nicht ein Moment des Widerstands, sondern das Ergebnis einer nationalsozialistischen Kulturpolitik."

"Nennen wir das Schlamperei"

Auch der langjährige Staatsoperndirektor Ioan Holender kann über den Umgang der Philharmoniker mit ihrer Geschichte nur den Kopf schütteln: "Seien wir nett vor Weihnachten und nennen wir das Schlamperei." Allerdings eine, die Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg zu verantworten habe. Dessen Buch "Demokratie der Könige" aus 1992 - quasi die offizielle Geschichte der Philharmoniker - sei die Wurzel allen Übels, sagt Holender. Was der Historiker Trümpi auch so sieht: "Aus der Tatsache des Buches von 1992 beziehen die Wiener Philharmoniker bis heute ihr Selbstverständnis."

"Verpflichtung auch für Politik"

Ioan Holender wird noch deutlicher, er spricht von Zudecken: "Mit Zudecken kommt man nie weiter im Leben. Wenn man etwas zudeckt, glauben die Menschen natürlich, es gibt Gründe, um etwas zuzudecken." Und deshalb sei jetzt die Politik gefordert, betont der frühere Staatsoperndirektor - da könnten die Philharmoniker noch so sehr darauf pochen, ein privater Verein zu sein. Holender: "Die Wiener Philharmoniker sind ein leuchtendes Projekt unserer Republik, umso mehr gibt es die Verpflichtung, dass dort nicht ein Schimmer einer Verdeckung von irgendetwas sein sollte." Da wäre auch die Politik am Zug, so Holender, "weil die Politik profitiert von der Qualität und dem Bekanntheitsgrad der Philharmoniker und das führt auch zu gewissen Verpflichtungen - von der Politik gegenüber dem Orchester, aber auch von der Führung des Orchesters gegenüber diesem Land", so der Appell von Ioan Holender. Eine Stellungnahme der für Kunst und Kultur zuständigen Unterrichtsministerin dazu ist noch ausständig.

Service

Wiener Philharmoniker
Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien

Clemens Hellsberg, Demokratie der Könige. Die Geschichte der Wiener Philharmoniker. Schott Musik International GmbH & Co. KG (1992), ISBN-10: 3795702364, ISBN-13: 978-3795702366