Warten auf bessere Zeiten

Das Warten durchwirkt unser aller Leben als blödsinniger Widerspruch. Voller Ungeduld warten wir als Kinder, dass wir endlich groß werden. Dass das Christkind kommt oder die Ferien.

Frisch verliebt, können wir das nächste Rendezvous kaum erwarten. Warten sehnsüchtig, dass die Tage wieder länger werden, und wärmer. Dass eine stressige Woche vorbeigeht. Eine Krankheit. Eine Trauerzeit. Derlei Warten heißt: Wir wünschen dringend, dass die Wartezeit schneller vergeht. Aber wenn Zeit schneller vergeht - dann nähern wir uns auch in Summe gesehen schneller dem Ende. Und genau das wollen wir doch um keinen Preis!

Hundsgemein ist es, dieses Warte-Paradoxon.

Beim Warten vergeht uns die Zeit zu langsam. In der Rückschau tritt aber oft der gegenteilige Effekt ein: Wartezeiten schnurren in der Erinnerung zusammen - nämlich dann, wenn sie uns vergleichsweise leer vorkommen. Wo nicht viel los war, bleibt nicht viel übrig. Vielleicht hat Beckett darauf angespielt, mit dieser obergenialen Stelle in "Warten auf Godot", wo Wladimir zu Estragon sagt:

Wer das Leben verwartet, dem rennt es davon. Andererseits: Solange man noch auf etwas oder jemanden wartet, hat man noch Grund auszuharren. Statt sich haamzudraan. Vladimir und Estragon probieren ja durchaus, sich aufzuhängen. Allerdings halbherzig. Denn wer noch wartet, hofft noch. Und wer noch hofft, wartet noch.

Die zwei in "Warten auf Godot" tun, was wir mehr oder minder alle tun: Das Warten - zwischen dem ersten Schrei und dem letzten Seufzer - halbwegs sinnstiftend zu gestalten. Nur dass Beckett diese Versuche - und ihr zeitweiliges Scheitern - ins Satirische zieht. Wie bei Clowns, die statt zu gehen in einem fort stolpern. Und dabei furchtbar traurig schauen.

Warten, dass das richtige Leben beginnt! Warten, warten, warten, dass man durch das Tor der Erkenntnis eingelassen wird - statt beherzt selbst einzutreten.

Beckett Ping, Kafka Pong.

Der Mann vom Land lässt sich ohne weiteres einschüchtern. Und beschließt vorsichtshalber, doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Auf einem Schemel seitwärts der Tür hockend, versucht er es mit Flehen und Bestechen. Vergebens. Die Jahre gehen ins Land, indes: Er wartet.

Kafka Pong, Beckett Ping.

Samuel Becketts Libretto zu der Oper "Neither" von Morton Feldman:

Gemäß Beckett wäre Leben an sich absurdes Warten. Und dieses absurde Warten der reguläre Seinszustand. Von Morton Feldman musikalisch in der Schwebe gehalten. Warten ist der Weg ist das Ziel.

Der Zug, der längst abgefahren ist

Ein substanziell anderes Warten ist das Warten der "Drei Schwestern". Anton Tschechow lässt in der Provinz warten. Eine Gutsbesitzerklasse wartet - auf einen Zug, der längst abgefahren ist. Und zwar ohne sie. Anschluss an die Zukunft: gecancelled. Da können die drei Schwestern noch so viel "nach Moskau, nach Moskau!" seufzen.

In Zeiten großer Umwälzungen versäumen immer wieder ganze Gesellschaftsteile den Anschluss - und warten auf einen Zug, der nicht mehr fährt. So wie hier und jetzt bestimmte Parteigänger darauf warten, dass sich zum Beispiel diese Krankheit, genannt Migration, wieder legt. Darauf können sie gerne warten.

Zu lange gewartet

Unser Mitleid ergießen wir lieber über einen tragischen Romanheldinnentypus: die Frau, die vergebens auf den Richtigen wartet. Wie in Dezsö Kosztolányis Roman "Lerche". Ein alterndes Mädchen, Lerche gerufen, bleibt ungefreit; denn diese Lerche ist eine Nesthockerin. Und verharrt in selbst gewählter Abhängigkeit im Elternhaus. Herzzerreißend die Stelle am Schluss, wo sie begreift: Die letzte kleine Chance ist verspielt. Der Rest ist Warten auf das Ende.

Das Problem, dass in ihrem Bett noch keiner war, das hat Scarlett O'Hara nicht. Die ungestüme Südstaatenschönheit aus Margaret Mitchells "Vom Winde verweht" brockt sich ein anderes Warteschicksal ein. Stur wie ein Bulldozer hat sie sich ihre Jugendliebe Ashley in den Kopf gesetzt. Ashley heiratet aber eine andere. Scarlett stellt ihm weiter nach, wartet, ob sie ihn doch noch erobern kann.

Es ist ein illusionäres Warten auf den Falschen. Den Richtigen hätte sie im Ehebett: Rhett Butler, der so ideal zu ihr passt. Aber für ihn ist sie gefühlsblind. Weil sie sich Ashley einbildet. Sie hat Rhett ohne Liebe geheiratet. Als ihr nach langen Wirrungen endlich und überwältigend klar wird, dass Rhett ihr Heimathafen ist und in Wahrheit immer war: Da ist es zu spät.