Experten relativieren EU-Politik der Regierung
Ist es Österreichs Verdienst, dass die Finanztransaktionssteuer in Europa auf den Weg gebracht wurde? Und wird das österreichische Modell der Ausbildungs- und Jobgarantie für Jugendliche jetzt neue europäische Maßstäbe in der Beschäftigungspolitik setzen? Experten bezweifeln das, sie stellen der Bundesregierung in europapolitischen Fragen insgesamt ein eher bescheidenes Zeugnis aus.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 29.12.2012
"Andere sind raffinierter"
Der Politikwissenschaftler Helmut Kramer von der Universität Wien erinnert an den Versuch von Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP), im Ringen um das EU-Budget die Muskeln spielen zu lassen: "Österreich hinkt immer noch nach, die Realitäten in Brüssel zu akzeptieren. Diese Vetokeulenandrohung entlockt einem finnischen oder schwedischen EU-Spezialisten nur ein müdes Lächeln. Die Finnen und die Schweden machen das sehr viel raffinierter."
"Reaktiv statt aktiv"
Was Sonja Puntscher-Riekmann von der Uni Salzburg bestätigt. Die Schweden etwa seien zwar fit für den Euro, führten ihn aber vertragswidrig nicht ein. Die Finnen wiederum hätten sich Ausnahmen bei der Kreditvergabe an Schuldenländer gesichert. Puntscher-Riekmann: "Insofern ist die Haltung der österreichischen Bundesregierung sympathischer oder zumindest sinnvoller für das Gemeinschaftswohl der Union. Aber richtig ist, dass die anderen professioneller agieren im Erreiche ihrer spezifischen Ziele. Österreich ist und bleibt eher reaktiv als aktiv."
Und Österreich mangle es einfach auch an Selbstbewusstsein, sagt Helmut Kramer: "Wir machen zum Beispiel eine ausgezeichnete Arbeit im zivilen Krisenmanagement, das heißt im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina. Wir sind aber viel zu wenig konzeptiv programmatisch in der EU unterwegs, um die Entwicklung der Europäischen Union zu einem Militärblock zu kontrollieren." Wie überhaupt ein klares außenpolitisches Konzept fehle, es gebe eine Tendenz zur Innenpolitisierung.
Keine österreichischen Erfindungen
Für die Politologin Sonja Puntscher-Riekmann sind auch die Fortschritte bei der Finanztransaktionssteuer nicht in erster Line Österreich zu verdanken, was vor allem die SPÖ gern so sehen würde: "Das ist eine Debatte, die schon länger läuft - auch aus der europäischen Kommission heraus. Dass man das befürwortet, würde ich nicht als österreichische Erfindung qualifizieren, aber halt in dieser Tonlage mitsingen, wenn ich das so definieren darf."
Das gleiche gelte für die Ausbildungsgarantie für Jugendliche, ein Modell aus Österreich, das die EU jetzt entdeckt hat. Puntscher-Riekmann: "Wie weit das wirklich österreichische Politik werden kann, hängt von sehr vielen Faktoren anderer Staaten ab."
Mehr EU-Kompetenz für den Kanzler
Positiv sieht die Politikwissenschaftlerin den Wandel von SPÖ-Chef Werner Faymann zum Euro-Skeptiker zum Europäer, das sei "die größte Wende, die ich sehe." Und das gehe Hand in Hand mit einer strukturellen Stärkung des Bundeskanzlers in Europafragen, so Puntscher-Riekmann. Die Euro-Krise habe den Rat als Akteur ins Zentrum gerückt und bewirkt, "dass die Außenämter weniger wichtig geworden sind gegenüber den Büros der Premiers. Und das ist, würde ich sagen, auch in Österreich der Fall." Eine neue Studie sieht sogar eine Leitlinien-Kompetenz für den Kanzler, wie es sie bisher nicht gegeben hat.
Service
Universität Salzburg Sonja Puntscher Riekmann
Universität Wien Helmut Kramer