Tom Cruise ist "Jack Reacher "

Tom Cruise ist immer noch ein Superstar. Es gibt nur ein Problem: Das Kino braucht keine Superstars mehr, um Leute ins Kino zu bringen. Diesen Job erfüllen bekannte Gesichter aus Fernsehserien und YouTube-Clips genauso gut und sind dabei viel kosteneffizienter.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Tom Cruise' Karriere innerhalb des letzten Jahrzehnts etliche Haken geschlagen hat. In der Komödie "Tropic Thunder" und im Hair-Metal-Musical "Rock of Ages" ironisiert er gekonnt sein Saubermann-Image, im Blockbuster "Mission Impossible: Phantom Protokoll" trägt er arge Blessuren davon. Jetzt kommt Tom Cruise mit einem neuen Film in die österreichischen Kinos: als "Jack Reacher" versucht er in der gleichnamigen Literaturverfilmung einem Scharfschützen auf die Spur zu kommen – und muss dafür einen Unterwelt-Sumpf trocken legen.

"Jack Reacher" basiert auf den Bestseller-Romanen von Lee Child – und dessen Karriere weist etliche Parallelen zu der von Tom Cruise auf. Der Brite beginnt erst zu schreiben, nachdem er seinen gut bezahlten Job bei einem Fernsehsender verliert. Nach jahrzehntelangem Dienst in der Unterhaltungsfabrik versucht er sich an einer kreativen Neuerfindung. Sein wortkarger Drifter "Jack Reacher" ist dann auch kein klassischer Held, sondern Ausdruck einer männlichen Identitätskrise.

  • Tom Cruise mit Maschinengewehr

    (c) Paramount

  • Tom Cruise & Robert Duvall

    (c) Paramount

  • Tom Cruise steigt aus einem Auto aus

    (c) Paramount

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Absolute Konzentration. Darauf läuft "Jack Reacher" hinaus. In seiner Ästhetik, seiner Dramaturgie wie auch in der Konzeption der Titelfigur. In der Anfangssequenz blickt das Publikum durch das Fadenkreuz einer Waffe: ein Sniper nimmt Menschen ins Visier. Junge, Alte, Frauen, Männer. Scheinbar wahllos. Dann drückt er ab. Insgesamt sechs Mal. Wieder: absolute Konzentration.

Nach seiner Festnahme nennt der mutmaßliche Attentäter einen Namen. Den dafür gleich mehrfach: Jack Reacher. Der soll gemeinsam mit der Anwältin der Verteidigung seine Unschuld beweisen. Denn hinter dem scheinbar geklärten Fall schlummert eine weitaus größere Bedrohung: ein Universum aus Schattenmännern und Auftragskillern. Bald ist klar, dass Ex-Militärpolizist Jack Reacher bis zum Äußersten gehen muss, um zu Überleben. Und um die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.

Archaische Männlichkeit

Jack Reacher ist überlebensgroß. Das sagt schon sein Name. Autor Lee Child nennt ihn Reacher, nachdem ihn eine alte Frau im Supermarkt bittet, ihr ein Produkt aus dem oberen Regal zu reichen. Gute zwei Meter misst sein Hüne, über einhundert Kilo bringt er auf die Waage und das bei einem verschwindend geringen Anteil von Körperfett. Der klein gewachsene Tom Cruise erscheint nicht als Idealbesetzung für diesen Mann - wenn man die ebenfalls überlebensgroße Persona des seit über drei Jahrzehnten erfolgreichen Schauspielers ins Erscheinungsbild mit einrechnet, dann stimmt die Rechnung allerdings wieder. Monolithisch, fast wie eine Statue schiebt sich Tom Cruise durch die perfekt komponierten Bilder von Regisseur Christopher McQuarrie. Sein Jack Reacher hat eine fast mythische Qualität.

Der Plot ist gefinkelt konstruiert, die Bilder sind geschickt designt. Und doch geht es in "Jack Reacher" vor allem darum, eine archaische Männlichkeit in die Gegenwart zu retten. Er ist ein Heimatloser, ein einsamer Rächer, ein "lonesome cowboy". Im klassischen Hollywood darf dieser Archetypus noch ungehindert wirken, im Kino des New Hollywood wird er ab den späten 1960er Jahren dekonstruiert und neu zusammengebaut.

Damals schleppten sich die Cowboys durch den Großstadtdschungel, heute ist es Tom Cruise. Die Stoßrichtung bleibt die gleiche: der wortkarge, lakonische Held wird entwurzelt und muss sich mit einer modernen Gesellschaft auseinandersetzen – mit für gewöhnlich dramatischen Konsequenzen.

Zum Artefakt stilisiert

Bekannt wird Tom Cruise in den 1980er Jahren: Es ist ein Jahrzehnt der enthemmten Geldflüsse und hemmungslosen Körperpolitik. Das Blockbuster-Kino revitalisiert den ungebrochenen Helden. Und Tom Cruise fliegt sich im Kampfpiloten-Märchen "Top Gun" in die Herzen der Zuschauer.

"Jack Reacher" hat nichts mit dem Tom Cruise der 1980er Jahre gemein. Die Figur ist der Schatten eines Charakters, geschickt im Umgang mit Waffen, aber emotionslos. Regisseur Christopher McQuarrie stilisiert ihn – im Gegensatz zu den Unterhaltungsromanen von Lee Child – zum Artefakt einer mythischen Männlichkeit, die keine Zweifel kennt und nie ins Straucheln kommt. Nicht umsonst trifft "Jack Reacher" im Verlauf seines ersten Leinwand-Abenteuers auch auf prominente Leuchtfeuer eines gegenkulturellen Spektakelkinos: Der famose Robert Duvall veredelt etliche Meisterstücke des New Hollywood-Kinos, darunter etwa Francis Ford Coppolas genialen Paranoia-Thriller "Der Dialog". In "Jack Reacher" taucht er als Mentor und Kollaborateur auf.

Noch imposanter ist aber ein Mann im Schatten, ein russischer Unterwelt-Boss namens "The Zec", weltabgewandt verkörpert vom deutschen Regisseur Werner Herzog. Der hat vor wenigen Jahren mit seinem somnambulen Krimi "Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans" selbst einen großartigen Neo Noir vorgelegt.

Kühl statt cool

Bei aller Eleganz und intertextuellen Fülle bleibt dieser "Jack Reacher" ein erstaunliches Nicht-Ereignis. Mathematisch präzise schiebt Cruise seinen immer noch strammen Körper durch noch strammer designte Umgebungen: gelebt wird dort nicht mehr, nur mehr verrichtet und verwaltet.

Das Ergebnis ist ein lebloser und erstickender Film, geschmückt mit guten Action-Momenten, die vortäuschen, dass etwas passiert, wo nichts mehr passiert. Das Ende kommt als Schulterzucken, denn wo das New-Hollywood-Kino noch Alternativen zu den alten Helden vorschlagen durfte, hockt "Jack Reacher" zwischen Held und Anti-Held, also zwischen allen Stühlen. Das mag als männliche Identitätskrise durchgehen - gutes Kino wird es aber trotzdem nicht.

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Jack Reacher