Kriminalfälle von Hans-Ludwig Kröber

Mord

Als ich dieses Buch in die Hand bekommen und gelesen habe, musste ich an eine ehemalige Journalistin des "Spiegel" denken, die einige der besten Sozial- und Kriminalreportagen der letzten Jahrzehnte geschrieben hat: Marie-Luise Scherer.

Ihre mehrteilige Reportage über eine Raubmordserie an älteren Damen im Paris der 1980er Jahre, verübt von einem Transvestiten-Duo, ist eine derart gut recherchierte und vor allem exzellent geschriebene Geschichtenfolge, die zu den verpflichtenden Lehrmaterialien jeder Journalistenakademie oder Fachhochschule zählen sollte.

Inzwischen ist die Kriminalberichterstattung nicht nur im "Spiegel" sondern auch andernorts - sieht man von seltenen Ausreißern nach oben ab - auf ein Niveau gesunken, das hier nicht weiter zu diskutieren ist. Aber warum die Assoziation Scherer-Kröber, jener Autor, um dessen Mordsgeschichten aus der Wirklichkeit es hier gehen soll?

True Crimes

Hans-Ludwig Kröber, Gerichtspsychiater in Berlin an der Charité und Gutachter in diversen Strafverfahren, kann - sofern er für sein Buch keinen Ghostwriter beauftragt hat und davon ist auszugehen - außerordentlich gut schreiben. Die Geschichten, die er hier nicht nur protokollarisch abheftet, sondern auch spannungsreich erzählt, sind das, was man "true-crime", wahre Verbrechen, nennt, Verbrechen, die der Autor, also der Gerichtspsychiater, auch selbst untersucht hat: paranoide Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, Berliner Zuhälter, Beziehungstäter und -täterinnen, Alkoholiker und Totschläger, Vergewaltiger und Kindsmörder.

Das alles sind sogenannte "Einzelfälle", die Hans-Ludwig Kröber auf gut 250 Seiten ausbreitet, in ihrer grausam-kriminellen Dichte, in ihrer kaum entzifferbaren Logik und Stringenz. Es gibt auch keine Moral aus diesen "Mordsgeschichten". Es sind - und so steht es im Vorwort dieses Buchs - "Geschichten aus der Verwandtschaft". Das heißt: Die Täter und Täterinnen sind keine "Aliens", sie kommen nicht plötzlich aus dem dunklen Wald, sie haben Gesichter und Biografien. Zumeist sind es verbogene Lebensläufe. Nur, wo genau der Bogen knickt, der eine zum Schläger und Mörder wird, während der andere ein sogenannter "rechtschaffener Bürger" bleibt, das kann am Ende auch der Gerichtspsychiater nicht beantworten.

Außerordentlich lesenswert

Was Hans-Ludwig Kröber aber vorgelegt hat, das ist eine beeindruckende Lektüre. Alleine die Erzählung mit dem Titel "Blutbrüder", in der es um soziale Verwahrlosung, Mord und Totschlag im Norden Ostdeutschlands geht, erzählt auf wenigen Seiten mehr über die sogenannte "deutsche Wende" als ganze Stapel von Geschichtsbüchern.

Fazit: außerordentlich lesenswert. Und auch noch der Tipp: Eine Auswahl von Reportagen der eingangs erwähnten Marie-Luise Scherer ist unter dem Titel "Die Bestie von Paris und andere Geschichten" über den Verlag Matthes & Seitz erhältlich.

Service

Hans-Ludwig Kröber, "Mord. Geschichten aus der Wirklichkeit", Verlag Rowohlt

Rowohlt - Mord