Die Schriftstellerin und Hörspielautorin Marianne Sula

Lob der Außenseiter

Eigentlich, sagt Marianne Sula, sei es ja der Erkenntnisdrang der Forscherin, der sie zum Schreiben führt. Im Vordergrund stehe dabei nicht unbedingt der Wunsch zu publizieren, sondern der Wunsch zu recherchieren, Fakten zu erkunden …

… und tief einzutauchen in jene Welten, welchen ihre Helden und ihr Personal entspringen. Die literarische Verarbeitung folgt erst später. Selbst die Wahl des Genres - Theater, Prosa oder Hörspiel - erfolgt erst dann, wenn das zusammengetragene Material nach seiner Form zu suchen beginnt. Dass daraus in regelmäßigen Abständen auch Hörspiele entstehen, freut die Hörspielredaktion des ORF natürlich, zumal die 1954 in Wien geborene Schriftstellerin im Lauf der Jahre zu einer ganz eigenen, unverwechselbaren Handschrift gefunden hat.

Marianne Sula ist eine ausgewiesene Expertin für extravagante Themen und Persönlichkeiten. Ihre Figuren und bevorzugten Forschungsobjekte sind im Regelfall Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen. Weil man, so Marianne Sula, von den Rändern besser auf den Kern, auf das Zentrum einer Gesellschaft blicken kann. Der Anstoß, den Marquis de Sade erregte, die Konflikte, die er sehenden Auges provozierte, sagten mehr über die französische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts aus als über jenen Mann, dem wir den Begriff Sadismus verdanken. Die Verehelichung der 15-jährigen Infantin Margarita Teresa mit dem an ihr gänzlich uninteressierten Kaiser Leopold I. aus dem Hause Habsburg erzählt anhand eines Einzelfalls von der Brutalität eines menschenverachtenden Systems. Indem Marianne Sula sich gezielt mit historischen Persönlichkeiten auseinandersetzt, richtet sie ihr Scheinwerferlicht nicht nur auf die zumeist schillernden Figuren, sondern leuchtet gleichzeitig den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund der jeweiligen Epoche aus.

Überdies, sagt Marianne Sula, korrespondiere das Außenseitertum ihrer Figuren durchaus mit ihrer eigenen Persönlichkeit. Sehr früh schon, mit acht, neun Jahren, hat die Tochter eines Kapitäns und einer Schauspielerin zu schreiben begonnen. Die ersten Gedichte hat sie mit 18 in der Pestsäule veröffentlicht. Es sei die "Einsamkeit der Kindheit" gewesen, die sie zum Schreiben verführte. Der Vater, der sechs Sprachen sprach, sei als Schiffskapitän meistens unterwegs gewesen, dafür aber habe ihr der Großvater, ein Buchhändler mit Geschäftsstellen in Brünn und Wien, die Welt der Bücher eröffnet.

Früh schon las sie Schiller und Tolstoi, Strindberg, Sartre und Celan. Und ebenso früh schon habe sie sich zum Theater hingezogen gefühlt. Als sie dem mittlerweile verstorbenen Theaterleiter Hans Gratzer ihre ersten Manuskripte schickte, meinte dieser, die Texte seien so gut, dass sie wohl von einem Mann sein müssten. Kein Wunder, dass sich Marianne Sula als Lehrbeauftragte an der Universität für angewandte Kunst intensiv mit Männer- und Frauensprache und mit dem Thema "patriarchales Schreiben" beschäftigte.

Überhaupt zieht Marianne Sula keine allzu strenge Grenze zwischen ihren verschiedenen Interessensgebieten. Ihr Ziel, sagt sie, sei es, "grenzüberschreitende Literatur" zu produzieren - in der die Erkenntnisse der Philosophie, der Psychoanalyse und der Geschichtsforschung zusammenfließen. Vielseitig wie ihre Interessensgebiete präsentiert sich auch die Werkliste der Marianne Sula. 1993 erschien im Salzburger Otto Müller Verlag ihr Roman Orangen und Chorgitter, Theaterstücke entstanden (z.B. "Golem. Ein Winterstück", für das sie den Salzburger Dramenwerkstattpreis erhielt), zudem Gedichte, Erzählungen und Essays.

Die Hörspielredaktion von Ö1 widmet Marianne Sula im Jänner 2013 einen Schwerpunkt. An vier aufeinanderfolgenden Dienstagen wird im Rahmen einer Personale je eines ihrer - jeweils von Renate Pittroff inszenierten - Hörspiele gesendet. Dabei zeichnet sich die nächste, große Hörspielarbeit der studierten Theaterwissenschafterin und Germanistin bereits ab. Marianne Sula beschäftigt sich gerade mit einem Mann, der die Geschichte und die Geschicke Österreichs wie kaum ein Zweiter prägte. Sein Name: Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich.