Beitrag von Herbert De Colle

Offene Landschaft

Sonntags fahren zwar keine Laster, aber heute tuckern hunderte Harley Davidsons vom Faaker See heim in den Süden. Wir tauchten immer wieder in einen Pulk Motorräder ein, aufpassend, dass wir keinen Rechtsüberholenden übersahen. In den Tunnels dröhnten die Motoren besonders imposant.

Meer

Herbert De Colle schreibt über Grado und erinnert sich, "dass ich hier in den 50er Jahren das erste Mal Meer gesehen und geschmeckt habe."
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(c) Herbert De Colle

Wenn wir die Landstraße nach Grado fahren, bellen uns die Lücken zwischen den Alleebäumen entgegen, geben Blicke frei auf einsame Gehöfte, wild mit Ranken verwachsen. Im Frühjahr weiß ich dort Mohnblumenfelder.

Dass ich mich im Internet kundig gemacht habe, lohnt sich, denn auf Anhieb finden wir unser Hotel, im Hof können wir auch parken. Wir hatten keine noble Herberge ausgesucht, müssen aber fürchten, dass dieses Haus auch kein leichtes Erdbeben standhalten werde. Der Gang zum Zimmer neigt sich merklich. Ich mache die Probe und lege den vorgefundenen Ball vor die erste Tür. Er bleibt ruhig liegen. Habe ich mich getäuscht? Als wir unser Zimmer ganz hinten kurz darauf verlassen, ist auch der Ball da. Also doch, das ganze Gebäude hängt nach Osten, neigt sich Triest zu.

Das Meer ist abgezäunt, durch Drehkreuzschleusen gelangen wir hin, nachdem wir die paar Euro bezahlt haben. Dazu gibt es Liegen und Schirme, Klos und Aufsicht, sogar versichert ist man mit dem Eintrittsgeld und man darf, so steht es da, in der Strandbar sein Bier trinken.

Am frühen Abend schlendern wir in die Altstadt und setzen uns in die Trattoria am Hafen. Einmal saßen wir hier noch im November im Freien bis in die Nacht. Morgen wollen wir mit der Nuova Christina, einem 25-Tonner, in die Lagune. Zum Abendessen finden wir schließlich ein Restaurant, das wir besser nicht gefunden hätten, obwohl es ja auch wieder nicht so arg war, außer der Gelsenplage, die Biester hatten es auf meine Frau abgesehen.

Pünktlich legt das Schiff in Portobuso ab, durchquert auf dem Kanal die halbe Stadt und biegt in die Lagune Richtung Aquileia ein. Da steht die Madonnina del mare, dahinter sieht man den Autoverkehr über die Verbindung zum Festland huschen. Einige Wracks liegen im Sand, Schilder weisen den Seeweg, hier nach Triest, da nach Venedig, zurück nach Grado.

Auf den kleinen Inseln stehen Gebäude, strohgedeckte Fischerhütten, die casoni, Schuppen. Ob dort ständig Menschen wohnen? Eine Blumeninsel könnte auch der Traumaufenthaltsort von Gästen sein. Ein beliebter Wallfahrtsort hinten mit dem Campanile. Da gibt es Hühner, eine Katze.
Langsam gleitet die Christina zwischen den Pfählen dahin, da beginnt der Himmel zu dröhnen. Hier Harleys? Um die zehn Jets brausen über uns hinweg auf die Adria hinaus. Sie fliegen in Formation, jetzt erscheint hinter ihnen die Tricolore. Das Weiß in der Mitte zerfließt bald im Dunst, lange aber halten sich die anderen Farben. Die Strandbesucher werden sich über diesen Gruß freuen.
Motorboote überholen uns, kommen uns entgegen, aber eher ist es ruhig zwischen den Inseln, Möwen, Reiher, die sich kaum bewegen, über 200 Vogelarten soll es hier geben, unsere Wellen rauschen an den Steinböschungen auf.

Ein Teil der Passagiere steigt in Porto Anfora aus, bleibt einige Stunden auf der Insel, Mittagessen ist dort möglich, kehrt dann mit der nächsten Fuhre zurück nach Grado. Langweilig, denke ich. Unser Kapitän zieht sein Boot jetzt aufs offene Wasser hinaus und schwenkt nach Osten. Wir durchqueren ein Quallengebiet, sehen backbord die Berge, den Karst, aber steuerbord verschwimmt der Himmel mit dem Meer, kein Horizont ist auszumachen. Schemenhaft tauchen da und dort Boote auf. Um die Mittagszeit sind wir wieder im Hafen, die Sonnenuhr zeigt Winterzeit, und bald sind wir auch im Hotel. Siesta.

Der späte Nachmittag gehört dem Strand, Waterwalking ist in. Von null bis hundert, alles stakst durch das seichte Wasser, vielleicht dreihundert Meter, bis das Schwimmen möglich wird. Da steigt ein Mann mit Rucksack herum, sein großer Bauch, auch sein schwerer Rücken lassen ihn schildkrötenartig taumeln, mit steifen Beinen kommt er unter die Dusche. Dort schreitet eine Dame sogar mit Stöcken über den Strand. Einige laufen vorbei. Den vierten und größten, obersten Drachen seh ich vorerst gar nicht, wenn ein seltener Verkäufer vorbeikommt. Bäuche, Busen, knappe Höschen, heißer Sand, herber Duft, Salz in der Luft, wir sind am Meer. Durchatmen.

Heute passt uns das Restaurant gut, wir essen ausgezeichnet und trinken trockenen Wein. Noch einmal ein Geschwader über uns, schon in der Dämmerung, Tauben suchen ihren Schlafplatz.

Unser kleines Zimmer gewinnt Raum durch die Höhe, es gibt einen Balkon. Auch hier fällt die Schräglage auf, die Balkontür pendelt, sobald man sie öffnet, in den Schwerpunkt. Drüben bei den Nachbarn häufen sich Bonsaibäumchen, gehegt und gepflegt von zwei älteren Damen. Überhaupt fallen mir diesmal die älteren Leute mehr auf, einmal, weil die Nachsaison wohl ihre Zeit ist, zum Anderen aber, weil wir selber in die Jahre kommen.

Auf der Liege im Körbchen schläft eine große Katze, vielleicht haben wir die gestern Abend im Park gesehen. Sie ist eine Ausnahme, denn vor allem gehen Hunde mit ihren Menschen spazieren. Kleine, struppige, schlanke, kräftige, junge, bummelige Vierbeiner hängen an den Leinen, lassen sich ziehen, geben das Tempo vor. Einer sitzt im Korb vor dem Lenker, für andere wird ein Kinderwagerl mitgeschoben für alle Fälle. Stolze Windhunde posieren in der Lounge, ein anderer hat dieselbe Frisur wie das Frauchen, trägt Lila.

Ansonsten ist Grado auch eine Stadt der Radfahrer, ihnen wird hier das Radeln auf eigenen Spuren angenehm gemacht. In den Vorgärten blühen Malven, Oleander, Johanneskraut und Rosen, in den Parks schirmen Zypressen die Tageshitze ab. Ein Jugendstilplakat erinnert an die Vergangenheit als K&K-Seebad, ich erinnere mich, dass ich hier in den 50er Jahren das erste Mal Meer gesehen und geschmeckt habe.